Katholisches Sonntagsblatt, 9. Februar 1997
Wenn das hölzerne Bengele locker in den Beinen wird
Lachtherapie befreit von Hemmungen und macht stärker.

Von Ursula Kals

Wer lachen kann, lebt glücklicher als ein Griesgram. Optimisten, die in einem halbgefüllten Wasserglas eben ein halb volles und nicht ein halb leeres sehen, leben sorgloser. Daß Lachen gut fürs Immunsystern ist und Ängste besiegen kann, ist so sicher wie das Narri und Narro in der fünften Jahreszeit. Der Tuttlinger Psychologe Dr. Michael Titze setzt Lachen und Humor als Heilmittel gegen »frühe Beschämungen« ein.

Der Therapeut umkreist mit seiner ungewöhnlichen Theorie den sogenannten PinocchioKomplex: Das aus der Literatur bekannte hölzerne Bengele, dessen Geschichte sich für den Autor »stellenweise wie ein pädagogisches Lehrstück liest«, eckt mit seiner steifen Art überall an. Hölzern wirkende Menschen werden nur schwer von anderen akzeptiert. Wenn sie verzweifelt dagegen ankämpfen, komisch zu wirken, verkrampfen sie sich oft noch mehr. Ursache dieser Selbstwertstörung sind häufig tiefverletzende Beschämungen durch andere. Etwa das pummelige Mädchen, das immer den vollgehäuften Teller leer essen muß. Es wird von ihren sportlichen Mitschülern wegen ihres Übergewichts verhöhnt. Oder der Bettnässer, dessen Vater das beschmutzte Laken heraushängt und so der Nachbarschaft vorführt, was für ein Versager sein Kind ist. Diese schamgebundene Erstarrung läßt sich, sagt Titze, mit Hilfe des »therapeutischen Humors« lösen. Anstatt sich falschen Leistungs- und Perfektionsansprüchen zu unterwerfen, »sollten wir einfach lernen, weniger (selbstkritisch) zu denken und uns auf die spontane Kreativität des »Kindes in uns« einlassen«. Humor läßt sich nach Auffassung des Experten durchaus erlernen. Humorvolle Menschen seien mutiger, intelligenter und flexibler. Das muß doch Anreiz genug sein.

Wer lacht, lebt gesund. Denn - rein körperlich gesehen - ist Lachen ein hervorragendes Atemtraining. Die Einatmung wird vertieft und verlängert, die Ausatmung verkürzt, zugleich aber so intensiviert, daß es zu einer vollständigen Luftentleerung der Lunge kommt. Der Gasaustausch steigert sich um das Drei- bis Vierfache, insgesamt treten 17 Muskeln in Aktion. So kann Lachen entspannen und Streß vermindern. Schon ein bloßes Lächeln wirkt sich positiv auf die Blutzufuhr im Gehirn aus. Ein herzhaftes Lachen kann gar eine »Sauerstoffdusche« auslösen. In den letzten Jahren hat sich in den USA die »Gelotologie« entwickelt, die Wissenschaft vom Lachen. Übrigens: Die heilende Kraft des Lachens wies erstmals der amerikanische Arzt Norman Cousins vor 30 Jahren medizinisch nach. Durch eine selbst verordnete Lachkur hellte er sich nach eigener Überzeugung von einer Knochengewebeerkrankung.

Verklemmt rein, gelöst raus - Über sich selbst lachen kann man lernen

Ängstlich, sehr kontrolliert, hölzern und verklemmt, den Blick zu Boden - so sitzt die zwölfköpfige Gruppe in Michael Titzes Therapiestunde. Die meisten haben Berufe mit viel Verantwortung und in der Regel eines gemeinsam. Sie können nicht aus sich heraus, weil sie als Kinder von Eltern, Lehrern oder Kameraden beschämt wurden und heute als »Gelotophobiker« Angst davor haben, ausgelacht zu werden. Wer kann da schon aus sich raus gehen? Dagegen gibt's ein Mittel: über sich selbst lachen. Michael Titze übt es mit seinen Klienten.

Herr F. hat panische Angst davor, öffentlich zu sprechen. In der Gruppenstunde soll er eine Grabrede halten für einen verstorbenen Hamster, dabei möglichst viele Fehler einbauen, lispeln, holpern, mit vielen »ähs« und »mmhs« - und das Ganze noch mit einem Schluck Wasser im Mund. Da muß Herr F. selbst lachen und mit ihm die ganze Runde. Das befreit. Michael Titze geht es darum, daß seine Klienten sich un-verschämt parodieren, ihre Fehler überspitzen und so Abstand zu ihrer Welt der Ängste gewinnen. »Da kommt das Lachen von ganz allein.«

Der Therapeut kennt viele Übungen. Da sitzen sich zwei gegenüber, der eine spielt den Spiegel, der andere den Reingucker. Klar, daß es ein Lacherfolg für beide wird, wenn der Reingucker sich rasiert oder Pickel ausdrückt. Die Kunst liegt in der Übertreibung. Da kann es Frau H. helfen, die, überaus stramm katholisch aufgewachsen, heute ihre Kinder zum Kadavergehorsam erziehen will. »Überlegen Sie doch mal, welche Methoden es dafür noch geben könnte«, fragt Titze. Und man kommt auf die heilsame Kinderverbannung auf die Teufelsinsel oder Einzelhaft im Kinderzimmer. Übertrieben? Natürlich, und alle lachen gelöst miteinander dar über.

Wichtiger als alle Übungen zusammen ist für Michael Titze die Grundeinstellung zum Leben. Immer optimal sein zu wollen, das führt zum Krampf. »Es geht darum die Dinge leichter zu sehen, vom Durchschnitt auszugehen, sich Fehler zu leisten und einzugestehen«, sagt der Therapeut. Freunde können dabei helfen, die mitlachen. In den USA existieren Gruppen von »anonymous laughers«, anonymen Lachern, die sich mit Zwerchfelltraining und Humor gegenseitig stärken. Und Humor ist mehr als Lachen allein. »Humor ist keine Stimmung, sondern eine Weltanschauung«, sagte der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Sieh's doch mal anders, könnte also der Tip für den Tag heißen. Und feste üben.