Bilfinger Berger Magazin 02/2006, S. 12-13
Lachen ist die beste Medizin
  Dr. Michael Titze ist der Wegbereiter des therapeutischen Humors in Deutschland. Der Psychologe hilft seinen Patienten dabei, ihren Ängsten ins Gesicht zu lachen: Nur wer sich selbst auf die Schippe nehmen kann, wird glücklich.

Interview: Friederike Nagel
Foto: Sebastian Lasse


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Herr Dr. Titze, der Volksmund behauptet, Lachen sei gesund. Stimmt das wirklich?
Ja. Das Lachen hat vielfältige positive physiologische Begleiterscheinungen. Man konnte sogar nachweisen, dass depressive Menschen sich besser fühlen, wenn sie 20 Minuten die Mundwinkel so anspannen, als ob sie lachen würden.

Was genau bewirkt das Lachen?
Die Einatmung vertieft und verlängert sich, während die Ausatmung sich verkürzt. Insgesamt atmen wir durch das Lachen intensiver, es gelangt mehr Sauerstoff ins Blut. Auch der Herzrhythmus wird positiv beeinflusst, der Blutdruck sinkt. Lachen läuft wellenförmig durch die gesamte Muskulatur. Die Eingeweide werden durch die Anspannung des Zwerchfells wie bei einer Massage geknetet, was sich positiv auf die Darmaktivität auswirkt. Auch der Fettstoffwechsel wird angeregt, sodass Cholesterin besser ausgeschieden werden kann. Wahrscheinlich kommt es sogar zur Ausschüttung von Glückshormonen. Eine Minute Lachen hat einen ähnlichen Effekt wie 45 Minuten Entspannungstraining.

Haben Menschen mit Humor mehr Erfolg im Beruf?
Natürlich. Allgemein gilt, dass Nicht-Lächler als unsympathisch empfunden werden. Menschen, die dreinschauen wie Abschmecker in der Essigfabrik, haben es in jeder Lebenssituation schwerer. Blickkontakt beim Lächeln und Lachen baut Brücken.

Darf man immer und jederzeit lachen?
Über das Lachen darf man nicht reflektieren. Ein natürliches, unkontrolliertes Lachen kann eigentlich nie lächerlich wirken. Man muss es einfach zulassen, ähnlich wie Kinder dies tun. Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass Kinder bis zu 400 Mal am Tag lachen, Erwachsene dagegen nur 15 Mal.

Kann man lernen mehr zu lachen?
Sie müssen sich Ihr inneres Kind zum Vorbild nehmen - als Kind haben Sie sich weniger Gedanken über Reaktionen der Umwelt gemacht, waren weniger auf Selbstbeherrschung eingestellt. Im Übrigen ist Selbstironie der Schlüssel zur Welt des Humors.

In Ihrer Arbeit mit Patienten setzen Sie Humor als Therapeutikum ein. Wer kommt zu Ihnen?
Häufig sind es Menschen, die als Kind zu oft in ein versteinertes Gesicht blicken mussten. Dadurch fühlen sie sich zurückgewiesen. Angelächelt werden bedeutet dagegen Wertschätzung. Zu meinen Therapien kommen Menschen mit Selbstwertproblemen, Erwartungsängsten, übersteigertem Schamgefühl. Sie haben große Angst ausgelacht, nicht ernst genommen zu werden. Häufig sind sie zwischen 40 und 50 Jahre alt, viele haben berufliche Enttäuschungen erlebt. Es gehtin der Arbeit mit therapeutischem Humor nicht darum, Patienten um jeden Preis zum Lachen zu bringen. Vielmehr versuche ich, ihnen zu einer lebensbejahenden, mutigen Einstellung zu verhelfen, die mit Heiterkeit einhergeht.

Wie lehren Sie diese Lebensfreude?
Die Patienten sollen mit Hilfe von paradoxen und provokativen Methoden lernen, ihren Ängsten ins Gesicht zu lachen. Zum Beispiel spiele ich mit Menschen, die übersteigerte Ängste vor Scham haben, Situationen durch, die sie als blamabel empfunden haben. Etwa das erste gemeinsame Essen mit den neuen Kollegen in der Kantine: Der Patient soll die Momente, die er als beschämend empfand, nachspielen - und zwar parodistisch überspitzt. Genau diese Grenzüberschreitung, die lockere Nichtbeachtung normativer Schranken, macht eine Humorreaktion überhaupt möglich. Das Leben verlangt den Mut zur eigenen Lächerlichkeit.

Man soll sich selbst auf die Schippe nehmen?
Ja. Wenn ein Kollege etwa neckisch fragt, ob man den Text der Fachzeitschrift auch verstehe, hilft es, schlagfertig zu reagieren, statt sich zu rechtfertigen. Sagen Sie zum Beispiel: »Der Text ist kein Problem. Ich schaue mir ohnehin nur die Bilder an.« Oder wenn die Kollegin Ihr »lautes« Parfum anspricht, dann hilft es lächelnd zu antworten, dass man in der Eile wohl nach dem Mückenspray gegriffen habe. Wer Mut zur Lächerlichkeit hat, kann sich im wahrsten Sinne des Wortes unverschämt geben und den Bann brechen, der ihn normalerweise lähmt.

Aber gibt es nicht auch Momente, in denen man einfach nicht lachen will?
Ja, natürlich. Manche Menschen lachen nur deshalb, weil sie denken, dass es von ihnen erwartet wird. Das ist ein Zwang, der heiteres Lachen erschwert.

Im Ausland heißt es häufig, Deutsche seien besonders ernst, stimmt das wirklich?
Die Humortherapie stammt ursprünglich aus Amerika; auf internationalen Kongressen treffe ich Kollegen unterschiedlicher Nationalitäten. Mein Eindruck ist, dass die Deutschen ein ganz gesundes Maß an Selbstironie haben, ein fast lockeres Verhältnis zu sich selbst. Südeuropäern etwa, die gemeinhin als entspannt gelten, fehlt oft diese schmunzelnde Distanz zu sich selbst. Wir Deutschen haben inzwischen - und das mag sich über die Zeit entwickelt haben - einen Clown in uns groß werden lassen.