Auszug aus: Eva Tenzer, Älter werden wir jetzt. Happy Aging statt Forever Young.
Älter werden mit Humor
Krüger Verlag, Frankfurt, 2005, S. 272-275
Herr Titze, wie sind Sie eigentlich darauf gekommen, sich beruflich mit Humor zu beschäftigen?

In meiner Arbeit als Psychotherapeut habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele meiner Klienten dazu neigen, die Wirklichkeit zu ernst zu nehmen. Misserfolge im Leben wie soziale Zurücksetzungen, Fehler in der Arbeit, familiäre Enttäuschungen oder eben das Alter werden als so gravierend eingeschätzt, dass es zu Niedergeschlagenheit, Gekränktsein, Mutlosigkeit, Scham oder Angst kommt. Aus dieser Stimmungslage heraus erscheint das eigene Leben nur noch als Jammertal. Depressive Selbstzweifel und Existenzängste überwuchern das Dasein. Selbstbejahende Tendenzen verkümmern. In dieser unheilvollen emotionalen Verstrickung schafft Humor die nötige Distanz. Indem der Klient lernt, seine schwarzen Gedanken spielerisch auf die Schippe zu nehmen, ironisiert er sein eigenes negatives Denken.

Was können wir im Leben und beim Altern mit Humor erreichen?

Die allgegenwärtige Medienpräsenz führt uns vor, wie wir sein müssen, um den »Idealen« der postmodernen Welt zu entsprechen: Körperlich attraktiv und jugendlich wie Filmstars, fähig zu sportlichen Höchstleistungen, die nur dann Spaß machen dürfen, wenn sie auch riskant sind und - nicht zuletzt - allzeit »gut drauf« zu sein, zu »Fun«-Aktivitäten aufgelegt, die wir mit einem zahlenmäßig möglichst großen Bekanntenkreis erleben. Wer dies schafft, kann sich in einer Spaß-Gesellschaft, die von Höchstleistung geprägt ist, gut einrichten. Wem dies nicht gelingt, gehört nicht dazu - und der hat im wahrsten Sinne nichts mehr zu lachen. Der Humor, den ich propagiere, soll gegen diesen Überbietungsdruck immunisieren. Er ist demzufolge auch nicht der Stoff, von dem die Spaß-Gesellschaft im Comedy-Stil zehrt. Dieser Humor ist vielmehr ein Gegenmittel, das uns Wege aufzeigt, wie wir uns von dem unheilvollen Druck, immer noch besser, jünger, fitter sein zu müssen, befreien können. Es geht um einen Einstellungswandel, der uns dazu bringt, über die Zwänge der jugendfixierten Überbietungsgesellschaft innerlich lachen zu können.

Wie geht das genau?

Man muss sich einfach auf die Quellen der Freude zurückbesinnen, über die jeder Mensch verfügt. Um dies zu erreichen, müssen wir die Lebensrealität unserer Kindheit wieder beleben. Kinder denken weniger logisch, sie machen sich weniger Gedanken um den Ernst des Lebens, sie leben viel mehr in der Gegenwart als in der fernen Zukunft - das tun die Erwachsenen! Dieses »kindliche Gemüt« im Alter wieder aufzuspüren ist das Anliegen eines therapeutisch wirksamen Humors. Und ist das einmal gelungen, dann können die Zwänge des Überbietungsdenkens munter »durch den Kakao gezogen« werden.

Können Lachen und Humor auch dabei helfen, mit dem Alterungsprozess, den Ängsten vor dem Alter und mit den Einschränkungen des Alters besser zurechtzukommen?

Ja. Humor ermöglicht einen Perspektivenwandel, der eine Voraussetzung für jenen »komischen Pessimismus« ist, der auch dem Galgenhumor zugrunde liegt. Ein Beispiel: Bei der Beerdigung eines alten Komödianten sind viele betagte Kollegen anwesend. Während der Trauerfeier fragt einer von ihnen seinen Nebenmann: »Wie alt bist du, Charlie?« »Neunzig.« »Lohnt sich wohl kaum, nach Hause zu gehen, was?»

Indem man die Angst vor dem Sterben auslacht oder ironisiert, schafft man eine heilsame Distanz, die eine - und sei es nur kurzfristige - gefühlsmäßige Befreiung ermöglicht. In diesem Zusammenhang entwickelt man einen Sinn für das Absurde im Leben. Das schützt auch vor Stress. Gerade im gemeinsamen Lachen, beispielsweise in Altengruppen, kann ein lustvolles Kompetenzvergnügen erlebt werden, das die durch den Altersprozess bedingten Ohnmachtgefühle zeitweise auflöst. Im gemeinsamen Lachen werden soziale Bezie- hungen gestärkt - nach dem Motto: »Die Lage ist katastrophal, aber wir nehmen sie keineswegs ernst!« Wer in einer Altengruppe auch über Altenwitze lachen kann, zeigt, dass er komischen Pessimismus nachvollziehen kann. Diejenigen, die (noch) nicht lachen können, werden dabei gewöhnlich von den Humorgeübten in eine Diskussion gezogen, die der heilsamen Wirkung des Humors - Distanzierung, Relativierung, Sinn fürs Absurde - schließlich den Weg bahnt.

Wie fördert Lachen die zwischenmenschlichen Beziehungen?

Menschen, die häufig lachen, kommen besser an, denn sie schlagen zwischenmenschliche Brücken, wirken auf ihre Mitmenschen spritziger, witziger und einfallsreicher als lachunfähige Griesgrame. Das stärkt das Selbstvertrauen: Menschen, die viel lachen, erleben sich selbst als stark und kompetent, und sie fürchten sich weniger vor sozialen Konflikten.

Hat häufiges Lachen auch Einfluss auf den Erfolg einer langjährigen Partnerschaft?

Unbedingt! Wer lacht, gewinnt. Herzliches Lachen steigert die Attraktivität. Was einen Menschen wirklich anziehend macht, ist die Mimik des lachenden oder auch lächelnden Gesichts, das gilt auch nach 30 Jahren Ehe noch. Derart gestärkt, fällt es in vielen Situationen des Beziehungslebens leichter, selbstbewusst aufzutreten und letztlich auch erfolgreich zu sein. Die Partner sollten einerseits vernünftig miteinander umgehen, aber andererseits auch emotional, spontan und kindlich sein. Sie dürfen sich nicht scheuen, das »innere Kind« herauszulassen. Mit diesen Rollen und kommunikativen Ebenen sollte man spielen und die Normen des erwachsenen Denkens auch einmal vergessen können. Es reicht also nicht, nur ab und zu in einer Sektlaune einen Witz zu machen. Es geht mehr um einen guten Kontakt zu dem Kind in sich selbst. Paare, die da flexibel wechseln können, sind lockerer im Umgang miteinander und sie bleiben in der Regel auch länger zusammen, weil die Beziehung einfach mehr Freude bereitet.

Lassen sich mit einer guten Portion Humor auch Konflikte lösen?

Lachen ist ein soziales »Schmiermittel«. Wenn Menschen dazu gebracht werden, regelmäßig unbeschwert miteinander zu lachen, erleben sie die vielen Beziehungsfallen und Konflikte des Alltags als Herausforderung, die mit Humor freundschaftlich gemeistert werden kann. Wer Probleme humorvoll relativieren kann, wird sich kaum verletzen oder kränken lassen.

Sollte man sich bei all den Vorteilen bemühen, bewusst zu lachen?

Echter Humor mündet immer in einer Einstellung der heiteren Gelassenheit. Augenzwinkernd werden die allzu ernsten Probleme des Erwachsenenlebens relativiert, und man akzeptiert andere in ihrer liebenswerten Unvollkommenheit. Leider sperren sich manche gegen die vielen Anlässe, die sie zum Lachen bringen können. Wer in einer humorvollen, lach-orientierten Partnerschaft leben möchte, sollte es besser umgekehrt machen: systematisch nach komischen Auslöser-Reizen suchen, die unseren Lachreflex in Gang setzen. Es steht ja in unserer Macht, dem Alltag viele lustige Seiten abzugewinnen, mit anderen Scherze und Witze auszutauschen und sich bewusst auf humorige Situationen einzulassen.