Die Rheinpfalz am Sonntag, 1. April 2007, S. 16
Im Interview
Michael Titze ist Gründungsvorsitzender des Vereins »HumorCare». Er hat die ersten Bücher über therapeutischen Humor in Deutschland geschrieben. Titze arbeitet als Psychotherapeut und Psychoanalytiker in Tuttlingen.

(Die Fragen stellte Anja Schuster)
Warum veralbern wir andere so gern?
Das Blödeln und Veralbern ist ein Erbe aus Kindertagen. Damals war uns durchaus bewusst, den Erwachsenen, aber auch älteren Kindern intellektuell nicht gewachsen zu sein. Wenn sich das Kind dieser Erwachsenenwelt verschließt und bewusst in jener kreativen Phantasiewelt bleibt, bleibt es von Minderwertigkeitsgefühlen verschont. Im Gegenteil erfährt es jedes Mal einen gewaltigen Lustgewinn, wenn es seine Mitmenschen mit den Auswüchsen dieser Phantasiewelt konfrontiert, diesen also Geschichten erzählt, die falsch sind. Dieses Kunstgriffs bedienen sich auch Erwachsene, wenn sie Lügengeschichten erzählen, in denen die üblichen Normen außer Kraft gesetzt sind. Wer da nicht mithalten kann oder will, der fühlt sich leicht veralbert und nicht ernst genommen. Am 1. April wird der moralisch gebotene Zwang zur Wahrhaftigkeit auf den Kopf gestellt. Humorvolle Menschen zeichnen sich durch ihre Fähigkeit aus, die starren Grenzen der Erwachsenenlogik hinter sich zu lassen, um immer wieder in die Welt des Kindes zurückzufinden, die eine Märchenwelt ist. Wer nicht über diese Flexibilität verfügt, fällt auf die Märchen herein.

Steckt Schadenfreude in jedem von uns?
Schadenfreude gehört zur Grundausstattung des Menschen, um mit Problemen des Alltags fertig zu werden. Die Lust an dieser moralisch natürlich verwerflichen Freude ist ein Vermächtnis unserer Kindheit. Damals haben wir Schadenfreude im Geschwisterkreis benötigt, um mit den Folgen der Geschwisterrivalität fertig zu werden. Denn wenn das normalerweise überlegene ältere Kind hinfällt, sich einen Sprachschnitzer leistet, in einem Spiel den Kürzeren zieht ..., kommt ein Gefühl der Überlegenheit und Freude auf, von dieser Niederlage verschont worden zu sein. Dieses Muster bleibt auch im Erwachsenenleben bestimmend: Man freut sich, gerade bei denen, die als überlegene und daher unsympathische Rivalen empfunden werden, dass ihnen jenes Missgeschick passiert, vor dem man sich selbst insgeheim gefürchtet hat.