PSYCH. PFLEGE HEUTE, Aug. 2011, 17. Jahrgang, S. 193-197
 
Nach Kräften komisch sein
 
Michael Titze im Gespräch.
Interviewer: Christoph Müller
 
 
PH: Lieber Herr Titze, zum Auftakt komme ich einmal etwas platt daher und frage: Was haben Lachen und Humor, Ironie und Komik in der Psychiatrie zu suchen?

Michael Titze: Die Bedeutung des Wortes Humor hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Im 18. Jahrhundert war Humor allgemein ein Unterbegriff des Komischen. Als »humorig« fasste man - insbesondere in England - Individuen auf, die durch seltsame (wunderliche) Launen (»Spleens«) auffielen bzw. dadurch zur allgemeinen Belustigung anregten. Die betreffenden Individuen waren sich ihrer humorigen Wirkung oft gar nicht bewusst. Sie waren »unfreiwillige Komiker«, so wie die Geisteskranken, die während des 18. Jahrhunderts in diversen Irrenhäusern von Besuchern gegen Entgelt begafft werden durften. Noch heute gibt es unzählige Irrenwitze, in denen diese unfreiwilligen Komiker als Zielscheibe für die vielen Spielarten »schwarzen Humors« (Spott, Sarkasmus) fungieren. Grundsätzlich gilt aber: Alle Patienten können aufgrund krankheitsbedingter Normabweichungen auf ihre Mitmenschen komisch wirken. Sie sind deshalb ein beliebtes Objekt humoristischer Leistungen, denen Empathie und Herzenswärme fehlen.

PPH: Beschreiben Sie doch einmal konkreter - aus der Sicht eines Psychotherapeuten, der auch lange Jahre in der Psychiatrie gearbeitet hat - diese komischen Wirkungen. Erleben Sie die Arbeit mit psychisch veränderten Menschen in der psychotherapeutischen Arbeit ähnlich?

Michael Titze: Vor einiger Zeit sah ich im belebten Zentrum einer Großstadt eine hübsche junge Dame, die aufgrund ihrer äußeren Aufmachung aber deutliches Missfallen, teilweise sogar Bestürzung hervorrief. Sie trug ein kanariengelbes Ballkleid, dazu rote Kniestrümpfe und einen riesigen grünen Hut, der mit einer herrlichen Straußenfeder verziert war. Das Gesicht hatte sie sich schneeweiß gepudert, sodass die grellrot bemalten Lippen und das kühn aufgetragene Augenmakeup sehr auffällig zur Geltung kamen. Bei einem Kostümball zur Faschingszeit hätte diese Frau, die übrigens ausgelassen vor sich hin lachte, wohl kaum eine besondere Beachtung gefunden. Doch wir hatten gerade Hochsommer, die meisten Passanten trugen »normale« Sommerbekleidung und hatten im Übrigen ihr ernstes Alltagsgesicht aufgesetzt. Mit Ausnahme von zwei oder drei jungen Leuten, die sich über den Anblick dieser Dame offen zu amüsieren schienen, war die Reaktion der Umwelt, wie sich später zeigen sollte, ausgesprochen abweisend.
Es ergab sich nämlich, dass ich eben diese Frau am folgenden Tage in einem der Flure jener psychiatrischen Klinik wiedertraf, in der ich damals beschäftigt war. Wie sich herausstellte, war sie tags zuvor von der Polizei aufgegriffen worden, nachdem ein besorgter Bürger Meldung erstattet hatte. Damit war sie ganz offensichtlich mit dem Normalitätsprinzip in Konflikt geraten, dessen Spielregeln wir als »vernünftige Erwachsene« zwingend befolgen müssen. Im Unterschied zum Fastnachtsnarren, der ja immer im Einvernehmen mit einer Vielzahl von Mitmenschen »verrückt spielt«, hatte diese Frau als Einzelgängerin im Alltagsleben angeeckt. Denn der »echte Verrückte« ist, im Unterschied zum Spaßmacher, stets ein von der Gemeinschaft abgelehnter Sonderling. Obwohl er alle Voraussetzungen eines Komikers besitzt, verhindert sein Mangel an Gemeinsinn, sein fehlendes Eingebundensein in das Bezugssystem rationalen Erwachsenendenkens, dass er oder sie einen wirklichen Sinn für Humor entwickeln könnte. Dieser Mensch orientiert sich nämlich ganz überwiegend am affektgesteuerten Bezugssystem seines »inneren Kindes«. Dadurch ist er genau so einseitig wie der übergewissenhafte Mensch, der sich in seinem Denken und Handeln penibel von den Grundsätzen des Normalitätsprinzips leiten lässt. Während letzterer gleichsam die Karikatur eines pflichteifrigen Erwachsenen darstellt, ist der »echte Verrückte« sozusagen in den Kinderschuhen steckengeblieben (bzw. im Laufe seines Lebens in diese wieder hineingeschlüpft). Der Humor als solcher erfordert aber als unbedingte Voraussetzung die Verfügbarkeit über beide Prinzipien. So kann der närrische Karnevalist auch jederzeit von seinen Verrücktheiten Abstand nehmen, um sich nach Bedarf ernsten Dingen zu widmen. Das Gleiche vermag der Clown oder der »Yoga-Lacher«. Deshalb ist der Geisteskranke immer auch eine tragische Figur: Die Außenstehenden mögen über ihn lachen oder sie mögen sich vor ihm fürchten, ihm selbst gelingt es nicht, die entsprechenden Zusammenhänge zu verstehen.

Das folgende Gedicht, das aus der Feder eines schizophrenen Dichters stammt, ist ein Beispiel für den unfreiwilligen Humor des Geisteskranken. Es erinnert in gewisser Hinsicht an Gedichte von Christian Morgenstern oder Joachim Ringelnatz und könnte im Übrigen auch von der berühmt berüchtigten »schlesischen Nachtigall« Friederike Kempner verfasst worden sein:

Herbstlaub
Der Winter naht.
Die Blätter fallen.
Tag für Tag, die Blumen welken.
Das Laub fällt ab, Tag und Nacht.
Der Herbst beginnt ein Lied zu lallen.

PPH: Wenn es stimmt, dass ein komplexes neuronales Netzwerk dem Lachen zugrunde liegt, das motorische, emotionale und kognitive Komponenten umfasst, stellt sich die Frage, weshalb gerade psychiatrisch Pflegende diese Bandbreite nicht nutzen, um dem eigentlichen beruflichen Auftrag zu entsprechen?

Michael Titze: Wenn Menschen auf Humor reagieren, sind in der Tat ganz verschiedene Hirnregionen an diesem Geschehen beteiligt. Um in eine heitere Stimmung zu gelangen, die in ihrer finalen Auswirkung ein Lachen produziert, muss ein Areal im Bereich des vorderen Stirnhirns stimuliert werden. Dort befindet sich sozusagen die kognitive Schaltzentrale und dort werden auch die rationalen Voraussetzungen für das Verstehen von Pointen bereitstellt. Dies wiederum beruht auf dem Erkennen von logischen und ästhetischen Normabweichungen. Der entsprechende Widerspruch wird als Inkongruenz bezeichnet und bedeutet, dass etwas Verblüffendes geschieht, dass zwei Dinge zusammenkommen, die nicht zusammenpassen. So entsteht ein komischer Kontrast, der Befremden, Verblüffung oder eben auch Erheiterung hervorrufen kann. Hier einige Beispiele: Jemand trägt zu einem Sonntagsanzug schwere Bergschuhe; bei einem Sommerfest wird ein Weihnachtslied angestimmt; der Nikolaus verschenkt bunte Ostereier. Ein komischer Kontrast entsteht auch, wenn ein vernünftiger Erwachsener plötzlich wie ein albernes Kind zu argumentieren beginnt. Dadurch entsteht ein »intellektueller Sprung«, den Woody Allen virtuos zu nutzen weiß, wie dieses Beispiel zeigt: »Der Nihilismus behauptet, dass es kein Leben nach dem Tode gibt. Ein deprimierender Gedanke, besonders für einen, der sich nicht rasiert hat!«
Ergeben sich komische Kontraste auf unfreiwillige Weise, so kann es schnell peinlich werden. Eine wesentliche Voraussetzung, um unbeschwert lachen zu können, ist das, was Sigmund Freud als »erspartes Mitleid« bezeichnet hat. Ich kann über die ungewollten Normverletzungen eines Patienten nur dann aus vollem Herzen lachen, wenn eben dieses Herz »anästhetisiert« ist, wenn ich kein Mitleid bzw. keine Schuldgefühle gegenüber einem Menschen habe, der mir als unfreiwilliger Komiker gegenüber tritt. Seit Pinel zu Ende des 18. Jahrhunderts die Geisteskranken emanzipierte, haben wir zu Recht Skrupel, sie bedenkenlos der Lächerlichkeit preiszugeben. Doch in allen Krankenhäusern, nicht nur in der Psychiatrie, wird viel und häufig auch auf durchaus sarkastische Weise über Patienten gelacht. Dies entspricht einer wichtigen Entlastungsfunktion, die jenen Stress abzubauen hilft, der sich im Klinikalltag unweigerlich ergibt. Doch dies geschieht »hintenrum«, man möchte dem Patienten nicht zu nahe treten, ihn oder sie nicht verletzen. Und das ist gut so! Aber warum sollten nicht konstruktive Formen des Humors genutzt werden, um mit dem Patienten zusammen zu lachen? Eben dies ist ein Grundanliegen von HumorCare. (s. ethische Richtlinien am Ende dieses Artikels.)

PPH: Herr Titze, Sie haben selber einmal gesagt, ein Mensch werde als von Demenz Betroffener unfreiwillig zum Komiker, wenn er sich beispielsweise eine Unterhose über den Kopf zieht. Wieso geht im Alltag, insbesondere im psychiatrischen Alltag der Sinn für das Skurrile allzu häufig verloren?

Michael Titze: Im Vergleich zu früheren Epochen hat der Leistungs- und Konkurrenzdruck in unserer Gesellschaft allgemein zugenommen. So wurde ermittelt, dass ein qualifizierter Arbeitnehmer in vierzig Berufsjahren wenigstens elfmal die Stelle wechseln und seine Basiskenntnisse mindestens dreimal erneuern muss. Wer sich hier überfordert fühlt, kann seinen Sinn für Humor leicht verlieren. Denn wenn man sich ständig auf die eigene Effizienz, den überdurchschnittlichen Erfolg hin bewertet (bzw. sich von anderen bewerten lassen muss), geht die heitere »Leichtigkeit des Seins« schnell verloren und man ist im verbissenen »Ernst des Lebens« verfangen. So wird vieles, das Quelle von Erheiterung sein könnte (zum Beispiel komische Normbrüche, die einem selbst oder aber Patienten, Kollegen und Vorgesetzten unterlaufen) als ärgerliche Fehlleistung »evaluiert«, die es in Zukunft tunlichst zu vermeiden gilt. Denn wenn die Optimierung der Leistung in einer von steter Qualitätskontrolle vollgesogenen Arbeitswelt zum alles bestimmenden Prinzip erhoben wird, ist jede Abweichung von der Idealnorm Ärgernis und Bedrohung zugleich. Deshalb halte ich den Einzug von therapeutischen Clowns in die Spitäler für eine wunderbare Möglichkeit, um diesem allgegenwärtigen Trend zum lebensfeindlichen Perfektionismus entgegenzusteuern. Clowns sind diejenigen, die uns das Tor zu einer »bedenkenlos« unvollkommenen Gegenwelt auftun. Sie sind ja die Meister in der »Kunst des Stolperns«. Ein wunderbares Beispiel für diese universale Figur des Humors finden wir bei »Alexis Sorbas«: Dieser baut für seinen britischen Arbeitgeber Basil (der den »Ernst des Lebens« verkörpert) eine Drahtseilbahn. Als diese schließlich zusammenbricht, akzeptiert Sorbas dieses Scheitern nicht nur, sondern macht noch einen Erfolg daraus, indem er Basil lachend fragt: »Hast Du jemals erlebt, wie etwas so schön zusammenkracht?«

PPH: Für viele Menschen, kann man sagen, ist Humor und Komik ein Faszinosum. Im therapeutischen Kontext wird dieses Faszinosum oft überdeckt vom Ernst des Lebens. Welche Ideen haben Sie, um den psychiatrischen Alltag lebendiger zu gestalten?

Michael Titze: Das normale Denken des Erwachsenen verläuft innerhalb eines geschlossenen Bezugsrahmens, der durch die verbindlichen Gesetze der Logik bestimmt wird. Hier sind Freuds »Sekundärvorgänge« bzw. Adlers »common sense« am Werk. Eben diesen primär rationalen Bezugsrahmen sprengt der Humor, indem er konsequent, aber durchaus unsystematisch ein ganz anderes Bezugssystem mit einbezieht, nämlich dasjenige, das für das viel weniger rationale Denken des Kindes bestimmend ist. Hier sind Freuds trieborientierte Primärvorgänge bzw. Adlers private Affektlogik am Werk. Da wir im therapeutischen Alltag »normalerweise« möglichst effizient und seriös sein wollen, bevorzugen wir ganz eindeutig das rational austarierte Bezugssystem des Erwachsenen: Dieses ist vor allem durch logische Korrektheit, disziplinierte (Selbst)Kontrolle, kollektive Rücksichtnahme und moralische Gewissenhaftigkeit gekennzeichnet. Um es pointiert zu sagen: In diesem Bezugssystem gibt es nichts zu lachen! Erst durch die Einbeziehung des affektiven Bezugssystems des (inneren) Kindes kommen Qualitäten ins Spiel wie spontane Impulsivität, intuitive Kreativität, lockere Spiellaune und vor allem eine »bedenkenlose« Lebensfreude, die immer eine Humorreaktion, also Lachen, auslösen kann.
Wenn nun der Pflegende dem Bezugssystem des Erwachsenen zu stark verhaftet ist, wird in seinem Arbeitsleben aus der heiteren Kür schnell eine mühevolle Pflicht. Dies kann aus verständlichen Gründen Stress und Spannung hervorrufen, was sich natürlich auch in Mimik und Gestik zeigen wird, und es bleibt den Mitmenschen, also auch den Patienten, natürlich nicht verborgen. Im Gegenteil: eine solche angespannte Gestimmtheit wird unweigerlich körpersprachlich kommuniziert. Das bewirkt in der Regel einen verhängnisvollen »Ping-Pong-Effekt«: Im prämotorischen Cortex (d.h. in der Region der Gehirnrinde, die die Abläufe der Mimik abbildet) wird beim Kommunikationspartner eine Reaktion hervorgerufen, die genau dem entspricht, was in einem selbst emotional vor sich geht. Fühle ich mich also angespannt, unfroh oder überfordert, dann werden genau diese Gefühle auch beim Patienten wachgerufen - und dieser reflektiert sie mir dann wieder zurück! Wovon ich hier spreche, das ist die Funktionsweise der sogenannten Spiegelneuronen, einer faszinierenden Entdeckung der Hirnforschung! Denn konsequent weiter gedacht heißt das nichts anderes, als dass der Patient auch durch solche Affekte des Pflegenden im positiven Sinne »angesteckt« werden kann, die aus den spielfreudigen, lebenslustigen Ressourcen des »inneren Kindes« entstammen. Das ist gerade im Bereich psychiatrischer Pflegearbeit nicht nur möglich, sondern geradezu indiziert.
Wenn der Pflegende also einen Zugang zur Welt der Heiterkeit hat und wenn er oder sie über einen (grundsätzlich erlernbaren) Sinn für Komik und Humor verfügt, dann ist das immer eine riesige Chance mit therapeutischer Bedeutung.

PPH: In der psychiatrischen Pflege wird die Idee der therapeutischen Gemeinschaft seit vielen Jahren realisiert, indem versucht wird, über das alltägliche gemeinsame Tun den Weg zu den betroffenen Menschen zu finden. Welche Gedanken der Ermutigung wollen Sie psychiatrisch Pflegenden ins Tagebuch schreiben?

Michael Titze: Man geht davon aus, dass die erste Bindung zwischen Mutter und Kind - heute muss man ja sagen, zwischen Bezugspersonen und Kind - schlicht über das Lächeln erfolgt. In diesem Lächeln wird eine Brücke zwischen Kind und Bezugsperson geschlagen. Und man kann in diesem Zusammenhang durchaus sagen, dass das Kind die Mutter dabei konditioniert, es lieb zu haben und ihm (in einem ganz konkreten Sinne!) Ansehen zu verleihen. Und man kann auch feststellen: Immer wenn ich jemandem mit einem authentisch heiteren Gesichtsausdruck gegenübertrete, dann entsteht nicht nur eine kommunikative, sondern eben auch eine affektive Verbindung zwischen uns beiden: So konditioniere ich den Anderen, »lieb« zu sein! Auf diese Weise schaffe ich die Voraussetzung, dass unsere Beziehung weiter gefestigt wird.
Wenn ich aber habituell mit einem skeptischen Gesicht oder mit einer affektneutralen Maske daherkomme, wie diese von würdigen Amtspersonen gerne aufgesetzt wird, dann wird diese Brücke nicht aufgebaut. Folglich wird die weitere Interaktion wahrscheinlich weniger effizient, weniger konstruktiv sein. Und ich denke, das ist für die pflegerische Arbeit besonders wichtig. Es geht also vor allem darum, dass eine positive emotionale Beziehung hergestellt wird, bevor es zur eigentlichen verbalen Kommunikation kommt. Nur unter dieser Voraussetzung kann eine humorvolle Haltung entstehen, aus der heraus sich jene »joking relationship« entwickeln kann, die z.B. Soldaten bei gefährlichen Einsätzen zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammenschweißt. Die Humorforschung spricht in diesem Zusammenhang von der »kohäsiven Funktion« des Humors, aus der heraus Menschen - in einer von Heiterkeit und Lebensfreude erfüllten Atmosphäre - zu einer »Lachgemeinschaft« zusammenwachsen. Wie man dies erreicht? Indem z. B. auf Station ganz gezielt eine mit Humor angereicherte Atmosphäre geschaffen wird. In amerikanischen Kliniken gibt es bereits fest angestellte »Humorkoordinatoren«, die mit einer Fülle von Humormaterialien arbeiten, die aber auch Elemente aus der Clownsarbeit verwenden, Lachrunden anleiten und - last but not least - ressourcenorientierte Teamgespräche anbieten.

PPH: Nun sind wir bei der sogenannten Gelotophobie angelangt, der pathologischen Angst vor dem Ausgelachtwerden.

Michael Titze: Gelotophobiker haben niemals gelernt, das Lachen in seiner affektiv positiven Bedeutung zu schätzen bzw. als Mitvoraussetzung für eine Lebenshaltung zu nutzen, die von Freude, Heiterkeit und Ausgelassenheit geprägt ist. Das Lachen ihrer Mitmenschen wird (selbst wenn es durchaus nicht aggressiv gestimmt ist) grundsätzlich als eine Bedrohung des eigenen Selbstwertgefühls erlebt.
Diese Angst lässt sich auf intensive und wiederholte Erlebnisse mit herabsetzenden Formen des Lachens zurückführen, die im Laufe der Sozialisation stattfanden.
Die Wurzel einer Gelotophobie liegt - paradoxerweise - in nonverbalen Kommunikationsformen, die in sehr frühen Entwicklungsstadien stattfanden. So wie eine heitere und lebendig bewegte Mimik ein von Lebensfreude erfülltes »Urvertrauen zum Dasein« signalisiert, kann eine affektneutrale Mimik das genaue Gegenteil bewirken. Gerade psychiatrische Patienten haben in ihrer Kindheit sehr häufig die Erfahrung gemacht, dass die »versteinerte Mimik« ihrer Bezugspersonen (die nicht selten affektlabil waren) mit einem »eisigen Blick« verbunden war, der Ablehnung und Missfallen signalisierte und damit eine diffuse »Urscham« hervorrief. Wenn es nun in einer solchen affektneutralen Mimik zu winzigen Veränderungen der Gesichtsmuskulatur kommt, erhält dieses Gesicht einen spöttischen Ausdruck, der das Empfinden von Scham, Minderwertigkeit und einem diffusen »Komisch-Sein« gerade bei schamgebundenen Menschen immer weiter verstärkt. So sind die Betroffenen gegenüber ihren Sozialpartnern misstrauisch, sie gehen zu diesen auf Distanz oder bemühen sich (mit verkrampfter Willensanstrengung!), doch dazuzugehören, wertgeschätzt und akzeptiert zu werden. Doch diese Versuche laufen zumeist ins Leere, da sie, wie gesagt, unnatürlich gewollt und verkrampft sind. Und das wirkt auf andere Menschen grundsätzlich komisch! So gelangen die Betroffenen über kurz oder lang in die lächerliche Position von komischen Außenseitern, die tatsächlich viel häufiger ausgelacht werden als Menschen, die diese Erfahrungen in ihrer Kindheit nicht gemacht haben. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass gerade Menschen mit gelotophobischen Problemen sehr häufig Mobbing-Erfahrungen machen. Die Erklärung liegt auf der Hand: Wer - in einem ganz konkreten Sinne - ständig um sein »Ansehen« fürchten muss, wird seinen Mitmenschen kaum in einer unbefangen freundlichen und zugewandten Weise gegenübertreten. Es wird vielmehr genau das Gegenteil der Fall sein. Das ist auch der Grund, weshalb gerade Psychiatriepatienten rein äußerlich »wenig Gewinnendes« haben. Sie sind häufig misstrauisch, »narzisstisch kränkbar«, sie neigen zu affektiver Instabilität und einer negativistischen Einstellung, kurzum: sie sind nicht gerade liebenswert! Umso wichtiger ist es, sich von solchen Auswirkungen einer schamgebundenen Identität nicht dazu verleiten zu lassen, ebenso zu reagieren, wie dies die frühen Bezugspersonen der Betroffenen taten. Vielmehr sollte alles getan werden, um diesen irritierten Menschen kontinuierlich zu signalisieren, dass sie (in einem positiven Sinne) »ansehenswert« sind. Und dies gelingt am ehesten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wenn also die Stimmung auf Station spielfreudig aufgeheitert ist. Das ist die beste Voraussetzung für ein gemeinsames Lachen, das von den Betroffenen nicht als ein Auslachen erlebt wird.

PPH: Das Pinocchio-Syndrom hat viel mit Scham zu tun. Welche humorvollen und erheiternden Alternativen können Sie anbieten?

Michael Titze: Gelotophobie ist ein Spezialfall von Scham-Angst: Die Scham selbst ist ein Affekt, der den Selbstwert reguliert - im guten wie im schlechten Sinne! Scham entsteht bei einer negativen (Selbst)Bewertung. Ein unverkennbarer Hinweis für eine negative Bewertung durch einen Sozialpartner ist, wenn dessen Gesichtszüge sich zu einem »dreckigen Grinsen« verformen oder wenn der betreffende Mensch in ein höhnisches Lachen verfällt.
Diese beschämende Erfahrung führt gerade bei Menschen, die unter einer Gelotophobie leiden, zu einer weitreichenden Erstarrung, die sich nicht zuletzt körperlich auswirkt. Dabei wird die »vollkommene Schmiegsamkeit« lebendiger Beweglichkeit, wie es der berühmte Lachforscher Henri Bergson formuliert, auf einen bloßen »Mechanismus« reduziert. Die Flexibilität der Gesichtszüge gerinnt dabei zu einer Maske der Scham. Die Körperbewegungen verlieren ihre Geschmeidigkeit, sie werden linkisch, ungeschickt und hölzern. Man spricht aus diesem Grunde von einem »Pinocchio-Syndrom«. Dieses äußere Erscheinungsbild führt dazu, dass die Betroffenen »irgendwie komisch« wirken, was zur Folge hat, dass ihre Mitmenschen ihnen entweder aus dem Wege gehen oder sich über sie lustig machen. So nehmen die Betroffenen schließlich die Identität von »unfreiwilligen Clowns« an. Diese Identität ist verständlicherweise nicht ohne Weiteres akzeptabel, so dass diese Menschen oft schwer darunter leiden, sich zwanghaft bemühen, locker und unauffällig zu sein. Doch gerade dies ruft paradoxerweise genau das Gegenteil hervor.
Deshalb wurde die Methode des »Humordramas« entwickelt. Hier werden die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass die Teilnehmer bewusst und willentlich genau das tun dürfen, was sie bislang abgewehrt haben: sich nämlich ohne Wenn und Aber als komisch zu präsentieren. Eine ganz wichtige Rolle im Humordrama spielt der »therapeutische Clown«. Er oder sie unterstützt die beteiligten Patienten nach Kräften, sich bewusst wie ein freiwilliger Clown zu verhalten. Die Losung dieser Behandlung folgt der paradoxen Intention Viktor Frankls: »Der Patient soll sich gerade das wünschen bzw. vornehmen, was er bisher so sehr gefürchtet hat: bewusst lächerlich zu sein!« Um dies zu erreichen, wird z. B. die »clowneske Reduktion« eingesetzt, mit deren Hilfe wichtigen Funktionen des Körpers unweigerlich eingeschränkt werden: so das Sprechen (mit Wasser oder Murmeln im Mund), das Gehen und die Gestik (indem die Beine und Arme zusammen gebunden werden) und auch das Sehen (indem mit den Augen gerollt wird). Dies bringt die teilnehmenden Patienten unweigerlich in eine Spiellaune, die schnell mit Heiterkeit und Lachen angereichert wird. Denn nun dürfen sie das ausagieren, wovor sie sich bislang so schämten: Sie dürfen nach Kräften komisch sein!

PPH: Optimismus und Lebensfreude sollten auf den Fahnen der psychiatrisch Pflegenden stehen. Angesichts des befremdlichen Lachens eines schizophrenen Menschen oder des hämischen Lachens eines Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung braucht es eine positive Wendung. Haben Sie eine Idee?

Michael Titze: Ich sehe die Aufgabe der Psychotherapie ganz allgemein darin, die Blickrichtung eines Patienten zu ändern. Gerade der schamgebundene Mensch soll lernen, nicht mehr auf seine (oft nur eingebildeten) Fehler zu schauen. Er soll hinter die Maske der Scham sehen und sich der großen Kraft bewusst werden, die in seinem Inneren »ruht«. Diese Kraft ist das Leben selbst. Dieses Hinschauen auf die Ressourcen des Patienten kann grundsätzlich auch dem Pflegenden gelingen. Die »Positive Psychologie«, die heute mehr und mehr an Bedeutung gewinnt, zeigt uns Mittel und Wege, wie wir uns diesem Ziel annähern können. Wichtig ist, dass wir das Gelingende, Kreative, eben Positive auch dort ausloten, wo uns die Realität zunächst den Blick dafür verstellen mag. Denn jeder psychiatrische Patient, selbst wenn er unter einer hirnorganischen Störung leidet, besitzt etwas, das - in einem ganz positiven Sinne! - zur Quelle humoristischer Erheiterung werden kann. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang sehr gerne an einfache Rollenspiele, an denen Patienten beteiligt waren, bei denen ein schizophrener Residualzustand vorlag. Gerade auf Grund der krankheitsbedingten Reduktion sprachlicher und affektiver Kompetenzen konnte hier eine Komik entstehen, die im ästhetischen Sinne ganz und gar ansprechend war und die zur Folge hatte, dass die Mitpatienten unmittelbar erheitert wurden. Das gemeinsame Lachen wurde sodann von allen (auch den Protagonisten selbst) als sehr ermutigend und gemeinschaftsfördernd erlebt.

PPH: Wer den Sinn für das Skurrile bewahrt, der kann heiter auf den psychiatrischen Alltag schauen. Dies kann jedoch auch heißen, den Sinn für die Ironie, auch die beißende Ironie, lebendig zu halten. Welchen Wert haben das Lachen und der Humor bei der Psychohygiene professionell Pflegender?

Michael Titze: Eine Umfrage unter US-Ärzten ergab vor kurzem, dass sich jeder Dritte bereits über seine Patienten lustig gemacht hatte - allerdings vorwiegend, wenn diese es nicht unmittelbar mitbekamen. Aber es sind nicht nur die Ärzte, die ihren Frust - nach 24-Stunden-Schichten, Ärger mit der Verwaltung und Problemen mit Kollegen - mit sarkastischem Spott kompensieren. Auch für das Pflegepersonal hat die befreiende Wirkung »schwarzen Humors« eine wichtige Ventilfunktion. So werden abgewehrte Affekte, die sich sonst implosiv (gegen das eigene Selbst) oder explosiv (gegen die Außenwelt) richten würden, durch die eher harmlose Verbalaggression abgeführt. Dass Schimpfen und Fluchen eine »kathartische«, also reinigende, Auswirkung auf unser Stressmanagement haben, das hat der neue Forschungszweig der »Malediktologie« (wissenschaftliche Erforschung des Fluchens und Schimpfens) nachgewiesen.
So hilft Schimpfen nicht nur dem Klinikpersonal, den stressbeladenen Arbeitstag leichter zu ertragen, sondern auch den Patienten, z.B. ihre Schmerzen besser zu ertragen. In diesem Zusammenhang sind sarkastische oder zynische Sprüche ein fester Bestandteil (ein bekanntes Beispiel ist die erfolgreiche TV-Serie »Dr. House«).
Arbeitspsychologen gehen davon aus, dass das Betriebsklima durch Verbalaggressionen, also Schimpfen und Fluchen, insbesondere dann deutlich verbessert wird, wenn dies augenzwinkernd geschieht, wenn also gleichzeitig Humor einfließt. Und genau das ist dann der Fall, wenn sarkastische oder auch zynische Sprüche und Scherze verwendet werden. Wenn der Adressat einer solchen Verbalaggression nicht konfrontativ angegangen wird, sondern »außen vor« bleibt, ist aus psychologischer Sicht auch nichts dagegen einzuwenden.

Bibliografie
DOI xxx Psych Pflege 2011; 17: xxx-xxx
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York · ISSN 0949-1619


Artikel 1 der ethischen Richtlinien von HumorCare Deutschland e. V.:
Der Humor stellt ein komplexes Phänomen dar, das kognitive, affektive und physiologische Aspekte einbezieht. Humor führt zu einer Erheiterung, die sich im Lächeln und Lachen äußern kann, wodurch sich auch kommunikative Auswirkungen ergeben. Humor kann immer dann entstehen, wenn »komische« Normverletzungen entstehen, die einen vorgegebenen Bezugsrahmen sprengen. Geschieht dies unfreiwillig (wie im Fall körperlicher, geistiger oder psychischer Behinderungen), kann dies zu beschämenden, peinlichen Konsequenzen führen. Gerade psychisch kranke Menschen verhalten sich häufig unfreiwillig komisch. Sie können dadurch zu Objekten der Lächerlichkeit und zur Zielscheibe eines destruktiven »schwarzen« Humors (Ironie, Sarkasmus, Zynismus) werden. Die Mitglieder von HumorCare verpflichten sich, diese Art des Humors grundsätzlich zu vermeiden.