Solothurner Zeitung, 11.10.1996
Es braucht Mut, lächerlich zu sein

In Basel fand der erste europäische Kongress zum Thema Humor in der Therapie statt.

Von Angelica Schorre

»Lachen ist gesund« - das weiss der Volksmund schon lange. Aber erst vor wenigen Jahren haben Psychotherapeuten begonnen, die Heilkraft des Lachens ganz ernsthaft in ihre Arbeit einzubeziehen: Der kürzlich durchgeführte Kongress »Humor in der Therapie« in Basel war eine europäische Premiere.

Vor Jahren fand der autobiographische Bericht von der »Selbstheilung« des schwerkranken und als »hoffnungsloser Fall« geltenden Norman Cousins viel Beachtung. Cousins glaubte an die Kraft negativer Gedanken und Gefühle und verliess, um diesen auszuweichen, das Krankenhaus und zog in ein Hotel. Dort liess er sich Slapsticks vorspielen und ermunterte seine Freunde dazu, ihn aufzuheitern. Er genas.

Immunabwehr wird gestärkt

Die Lachforschung (Gelotologie) hat nun einige Beweise erbracht, die - hier auf körperlicher Ebene - die These von der heilenden Kraft des Lachens erhärten sollen: So werden der Fettstoffwechsel und die Verdauung gefördert, das Herz-Kreislauf-Systern wird angeregt, körpereigene Opiate (Endorphine) werden ausgeschüttet, die Immunabwehr wird gestärkt. Allerdings gestaltet sich die Erforschung des Lachens nicht einfach - »denn es ist schwierig, den Testkandidaten gleichzeitig Blut abzuzapfen und sie lachen zu lassen«, beklagt Willibald Ruch in seinem Referat.

Lachen erfolgt nicht nach den Gesetzen der Logik, sondern liebt das Bizarre, Paradoxe, Skurrile. Kinder können sich z.B. über den Satz »Die Nuss fällt nicht vom Baum« ausschütten vor Lachen. Der Grund ist ihr Geheimnis, das zu lüften sie nicht nötig haben. Vielleicht haben sie verschiedene, nicht zusammenpassende, sich .absolut wesensfremde Gegebenheiten spontan miteinander verknüpft. Und wenn der Zen-Mönch den Koan »Ich tauche meine Hand ins Wasser, und sie wird nicht nass« meditiert und Erleuchtung erfährt - was macht er? Er bricht in Gelächter aus. Dieses Lachen ist Befreiung, gibt einen anderen Blickwinkel der Wirklichkeit preis und kann so Verschobenes zurechtrücken: Humor und Therapie.

Am Kongress in Basel (Messe) stand der Einfluss von Humor und Witz in der Psychotherapie im Vordergrund. Die sogenannten paradoxen Methoden wie die »paradoxe Intention«, zu der die »Symptomverschreibung« gehört, sind seit längerem bekannt (Adler, Frankl, Ellis). In diesem Bericht sollen wahlweise einzelne Referenten zu Wort kommen, die »humorvollen Therapiemethoden« mit Beispielen erklärt werden.

Was ist Wirklichkeit

Ein Bettnässer begibt sich aufgrund seines Problems in Psychoanalyse. Nach Jahren fragt ihn ein Freund, wie es ihm denn nun gehe. »Besser«, antwortet der Patient stolz. - »Was, du machst nicht mehr ins Bett?« - »Doch, noch immer, aber ich weiss jetzt warum.« Mit dieser Anekdote übte Referent Paul Watzlawick in seinem Referat leise Kritik an den traditionellen Schulen der Psychoanalyse, die sich von der Entdeckung der Ursachen einer Krankheit in der Vergangenheit die Heilung in der Gegenwart versprechen. Dieses »Dogma« setzt ein Erkennenkönnen der Wirklichkeit voraus, was nach Erkenntnissen der theoretischen Physik und des Konstruktivismus nicht möglich ist. Watzlawick nannte zwei Ebenen der Wirklichkeit. Die erste Ebene ist die der Sinnesorgane, wo zum Beispiel ein Glas wahrgenommen wird. Auf der zweiten wird entschieden, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. »Das kann hier nicht objektiv festgestellt werden.« Aber ein Umdeuten ist auf dieser Ebene als wirksames therapeutisches Element möglich. Zum Beispiel wird ein Mann in der Nacht von einem Räuber bedroht. Der Mann kann ihm seine Brieftasche geben, oder er kann sich wehren und die Brieftasche und sein Leben verlieren. Oder aber - für diese Möglichkeit wollte Watzlawick allerdings keine Garantie übernehmen - der Mann sagt: »Jemanden wie Sie habe ich schon lange gesucht. Wenn Sie den Liebhaber meiner Frau umbringen, bekommen Sie 3000 Franken, melden sie sich morgen bei mir im Büro.«

Paradoxien

Als Beispiel für eine Paradoxie nannte Watzlawick einen aus dem Mittelalter stammenden Disput zwischen dem Teufel und Gott. Der Teufel fordert Gott auf, um ihm seine Allmächtigkeit absprechen zu können, einen Felsen zu schaffen, den Gott selbst nicht aufheben kann. Erschafft Gott den Felsen nicht, ist er nicht allmächtig; erschafft er den Felsen, kann er ihn nicht aufheben und ist ebenfalls nicht allmächtig. Oder, profaner: Eine Mutter kauft ihrem Sohn zwei Krawatten. Er bindet sich eine um, die Mutter fragt: Warum gefällt dir die andere nicht? Oder die Ehefrau jammert, dass ihr Mann ihr keine Blumen mehr heimbringt. Was soll der arme Kerl jetzt machen? Bringt er keine heim, ist er stur und lieblos; bringt er welche heim, macht er ja nur, was seine Frau gesagt hat. (Die Aufforderung »Sei spontan!« gehört auch hierhin.)

Ein Beispiel für paradoxe Intention ist die Symptomverschreibung: Eine Frau hat jede Nacht einen Alptraum, in dem ein formloses Wesen sie bedroht. Watzlawick empfahl der Frau, eine Decke über den Stuhl neben ihrem Bett zu legen - als formloses Wesen. Die Alpträume hörten schlagartig auf. Oder der Therapeut befiehlt einem Patienten, der krankhafte Angst davor hat, immer zu Erröten, dieses zu tun ... »Humor und Lachen haben eine wirklichkeitsverändernde Wirkung. Die paradoxe Intention kann zu einem befreienden Lachen führen. Und: Wer über sein Problem lachen kann, ist schon halb darüber hinweg.«

Der PinocchioKornplex

Wer lacht nicht gerne über den Clown, über den dummen August. Aber wenn man selber zu einem wird, zum Hanswurst gemacht wird, tut das weh. Denn wir sind dann weder geschminkt, noch tragen wir eine (Schutz-)Maske. Wir werden nicht als Mensch, also unmenschlich behandelt. Das kann zutiefst verletzen, man meidet Menschen - innere Kündigung, Emigration nach innen. Vielleicht kann der Mut des Clowns, lächerlich zu sein, helfen?

Zum »Mut zur Lächerlichkeit« rief Referent Michael Titze auf und wandte sich damit sowohl an den Therapeuten als auch den Klienten: »Viele Menschen haben Phobien (Ängste) oder Ticks, weil sie Angst davor haben, lächerlich zu wirken, zu sein.« Meist sind sie in ihrem Leben grausam lächerlich gemacht und beschämt worden. »Diese Menschen sind meistens aggressionsgehemmt, vermeiden den Blickkontakt und wirken durch ihre hölzerne Art komisch«, so Titze, der diesen Sachverhalt den Pinocchio-Komplex nennt. Wenn der Therapeut nicht zeige, dass er selber als Therapeut Mut zur Lächerlichkeit hat, gerate der Patient in Gefahr, sich wiederum der Lächerlichkeit preisgegeben zu fühlen. »Ein komischer Mensch passt nicht in unsere Leistungsgesellschaft.« Gerade deswegen empfiehlt Titze, mit dem Patienten etwas zu unternehmen, was keine Leistung in diesem gesellschaftlichen Kontext erbringt: »Zum Beispiel mit einem Schluck Wasser im Mund blöd reden.« Mit diesem Mut zur Lächerlichkeit bricht man aus der Leistungswelt aus, in der feststeht, was sein darf und was nicht«. Beim Anschauen eines Videos, das über den Patienten gedreht wurde, lacht dieser dann nicht über einen, der normal sein will, sondern über einen, der Mut zur Lächerlichkeit hat. »Der Mensch wird hingeführt in die Welt des Minimalclowns, des unvollkommenen Kindes, das scheitert, lustvoll scheitert.«

Schamangst relativieren

Mit diesem Mut zur Lächerlichkeit wird die Schamangst relativiert. »Wir können so mit den Patienten das lernen, was sie bisher angstvoll vermieden haben.« Zum Beispiel »lernt« ein Patient in ein Postbüro zu gehen und zu sagen: »Guten Tag, ich komme gerade aus der Nervenheilanstalt und möchte wissen, was für ein Wochentag ist.« Das braucht Mut! Oder ein anderer Patient

Dass das Lachen Positives bewirken kann, zeigte sich auch ganz allgemein an diesem Kongress in Basel: Zwischen und während Referaten wurden Witze und Anekdoten erzählt, bei denen sich die Referenten oft selber auf die Schippe nahmen. Bemerkungen wie »Die Stimmung ist gut, gar nicht wie sonst an Kongressen« oder »mir geht es jetzt viel besser als heute morgen« waren in den Pausen zu hören.

Willibald Ruch ist Privatdozent an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und Mitbegründer der »International Society for Humor Studies«.

Paul Watzlawick ist u. a. Forschungsbeauftragter am Mental Research Institute, Palo Alto, Kalifornien, und als Buchautor bekannt (»Anleitung zum Unglücklichsein«, München, Piper, »Die Möglichkeit des Andersseins«, Bern, Huber).

Michael Titze ist u. a. Dozent am Alfred Adler Institut in Zürich und Autor (»Die heilende Kraft des Lachens,«, München, Kösel).