DIE WELT, 10. Februar 1997
Ist denn Humor eine Wissenschaft für sich?
HQ kontra IQ: Lachen macht gesund - Wie es Forscherfleiß gelang, die Heiterkeitsdisposition mit einem Humorquotiententest empirisch einzukreisen

Von Gerhard Beckmann

Was viele von uns schon immer ahnten, ist im vergangenen Jahr im Flutlicht wissenschaflicher Erkenntnis zum Gemeinplatz geworden: Selbst der höchste Intelligenzquotient bedeutet keine Erfolgsgarantie fürs Leben, wenn die richtige psychologische Disposition fehlt. Golemans Bestsellertitel »Emotionale Intelligenz« machte klar, daß unser EQ mindestens so wichtig ist wie unser IQ. Die Wissenschaft hat inzwischen begonnen, einer weiteren nebulösen Volksweisheit in Form von solider Theorie Allgemeingültigkeit zu verschaffen. Der Aufschlag fand in einem Schweizer Doppel statt.

In Basel tagte ein Kongreß über »Humor in der Therapie« - der »Erste Europäische Lachkongreß«, wie ein Teilnehmer witzelte. Im Rahmen des fünften Humorfestivals in Arosa diskutierte erstmals ein Fachkongreß über die Heilkraft von Lachen und Humor in Medizin und Psychotherapie. Daß die Veranstaltungen unmittelbar vor und während der Karnevalssaison anberaumt waren, tut dem tierischen Ernst der Botschaft keinen Abbruch: Lachen macht gesund. Denn: Ohne einen entsprechenden Humorquotienten (HQ) wird das Überleben von Streß und Krankheiten problematischer. Einer alten Überzeugung zufolge ist das Wesensmerkmal des Menschen der Verstand. Eine humanistische Tradition sieht es in der Sprache. Im Gefolge der Evolutionswissenschaften und der Forschungen zum Verhalten von Tieren wuchsen - zumindest gegen die allzu einfältigen Annahmen dieser beiden Theorien - die Bedenken. Es herrscht offenbar Übereinstimmung, daß es eine Fähigkeit gibt, die den Menschen von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Um die nicht zu übertreffende Formulierung Friedrich Nietzsches zu zitieren: Der Mensch, »das leidendste Tier auf Erden, erfand sich das Lachen«. Grund und Wirkungsweisen dieses Charakteristikums hat jedoch bisher niemand zu erhellen vermocht. Wie der Neurophysiologe Rainer Spanagl vom Münchner Max-Planck-Institut auf der Tagung in Basel feststellte: »Das Entstehen des Lachens ist ein Rätsel.« Das neue Wissenschaftsfach der Gelotologie versucht nun aber, dem Geheimnis des menschlichen Spezifikums - des Humors - durch Messungen näherzukommen. Die für eine quantitative Erfassung unerläßliche Sortierung der einschlägigen Phänomene ist weit fortgeschritten.

Wie Willibald Ruch vom Institut für Physiologische Psychologie an der Universität Düsseldorf auf dem Fachkongreß in Arosa erklärte, wird die Heiterkeitsdisposition zum Beispiel mit Hilfe eines Fragebogens ermittelt, der die Humorwerte nach der Multiple-Choice-Methode punktmäßig gemäß den Reaktionen auf komische Situationen registriert. Sie können auch mit einem Humorquotiententest erschlossen werden. Nun gelten solche Resultate bekanntlich erst dann als wissenschaftlich gesichert, wenn sie in einem sogenannten Doppelblindtest bestätigt worden sind. Der konnte, wie Ruch auf dem Aroser Kongreß berichtete, in Düsseldorf mit Erfolg durchgeführt werden. Anhand von Videoaufnahmen läßt sich das nachprüfen. Versuchspersonen mit hohem HQ zeigten die in der Verhaltensforschung als typisch geltenden Erscheinungsformen des Heiterkeitsausbruchs: Anspannung der Gesichtsmuskel, Körperschütteln und Hahaha-Laute. Personen mit unterentwickeltem Humorpotential reagierten mit schlechter Laune und Unwohlsein. Das heikle subjektive Problem des guten oder schlechten Geschmacks war einfach medizinisch-technisch gelöst worden. Statt den Probanden Witze zu erzählen, hatte man sie im Sinne wissenschaftlicher Objektivität mit Lachgas behandelt. Solche Szientifizierung von Lachen hat natürlich sofort Spötter auf den Plan gerufen. Sie argumentieren, eine psychologische Nutzbarmachung bedeute eine ähnliche Entwicklung wie im Naturreich: Je weniger Tiere in freier Wildbahn, desto größer die Zoos. Doch warum wollen die Lästerer eigentlich für die Psychologie nicht gelten lassen, was sie an der Alternativmedizin zumeist lobend hervorheben: die Zuhilfenahme natürlicher Elemente und Faktoren?

Der britische Psychiater Anthony Storr stellte kürzlich fest: »Die Tage beiläufiger Meinungen sind vorbei. Wenn man den Verdacht hegt, daß Arbeitslosigkeit negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat, muß man es statistisch beweisen und bei den Arbeitslosen physiologische Mangelerscheinungen zeigen, die sie nicht mit Berufstätigen teilen. Das ist nun geschehen. Obwohl arbeitslose Frauen aufgrund der Sozialversicherung in Schweden fast 90 Prozent ihres früheren Lohns erhalten, hat der Stellenverlust merklich negative Veränderungen ihres Immunsystems verursacht. Das heißt: Auch ohne Armutsfolge führt Arbeitslosigkeit zu signifikant höherer Gefährdung durch Krankheiten und niedrigerer Lebenserwartung sowie gesteigerten Selbstmordraten.« Er fährt fort: »Was das Lachen betrifft, haben amerikanische Forschungen anhand von Messungen des Bluthormonspiegels nachgewiesen, daß es streßbedingte Gesundheitsschäden sogar rückbildet. Daß uns das Lachen guttut, haben wir schon immer gewußt. Nun wissen wir, warum.« Für nachweislich Humorlose besteht also noch Hoffnung. Humor muß heutzutage als eine Fähigkeit, die man lernen kann, betrachtet werden, sagte der Zürcher Psychotherapeut Peter Hain als Tagungsleiter in Arosa. Und der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik plädierte in Basel dafür, Humor in der Therapie einzusetzen, weil jemand, der »mit Entsetzen feststellen mußte, daß seine Konstruktion der Wirklichkeit sich als nicht tauglich erwiesen hat«, im Lachen »eine Befreiung aus der Ausweglosigkeit der Situation« erfährt. Hier wie dort sind praktische Anwendungsmodelle vorgestellt und diskutiert worden.

(Von dem in Basel teilnehmenden Therapeuten Michael Titze liegt ein Buch über »Die heilende Kraft des Lachens« vor.) In Basel gab es ein Beispiel aus dem Kinderkrankenhaus. Alle Versuche, einem kleinen Mädchen mit Atemstörungen zu helfen, waren vergebens, die Ärzte und Physiotherapeuten ratlos. Da taucht plötzlich der Medi-Clown Gilli-Gilli (von der Theodora-Stiftung) im Zimmer auf, macht Grimassen, malt der Kleinen einen Klecks ins Gesicht und spielt Flöte auf der Spritze, die dem Kind immer solche Angst einjagt, bis die kleine Mirjam vor Lachen losprustete und sich gar nicht mehr halten konnte - und die Atemstörung war weg.