SWR2 Eckpunkt, 23.07.2003, 10.05 Uhr, SWR 2
Nur eine Sache des Zwerchfells? Warum wir lachen

Autor: Ulrike Mix
Redaktion: Petra Mallwitz

O-Ton: Witze in der Krise ... also gut, ich bin nicht in Beirut, ich bin in Hamburg, aber ich bin bei Ruth. Ich geb sie Dir mal ... Haha, finden Sie das etwa lustig?

Sprecherin: Diesen Witz entdeckte ich, als wir kürzlich im Archiv auf der Suche nach einigen alten Hörfunk-Bändern sind. Wir können uns kaum halten vor Lachen. Obwohl der Witz von 1994 ist und noch im Programm des SWF gesendet wurde, scheint er wie für heute gemacht. Deutschland steckte damals zu Kohls Zeiten in der bis dahin schwersten Rezession der Nachkriegszeit. Überall war Sparen angesagt - genauso wie heute.

Irgendwie ist es doch seltsam, das mit dem Lachen, sage ich zu meiner Kollegin, als ich das Witz-Band wieder ins Regal stelle. Da müssen wir lachen, obwohl das Thema so ernst ist? Warum eigentlich?

In den darauf folgenden Tagen muss ich immer wieder an den Rezessions-Witz und an unser Lachen denken.

Was macht wohl das Wesen eines Witzes aus? Warum finden nicht immer alle das gleiche lustig? Ist Lachen wichtig für uns? Und was passiert eigentlich beim Lachen?

Keine Ahnung. Also mal sehen, was das Internet dazu zu sagen hat.

Unter dem Begriff »Lachen«: 1569 Treffer. Die Homepage der Gemeinde Lachen in der Schweiz ... Lachen-ist-gesund.de mit irgendwelchen Bildern, die ich nicht so lustig finde. Eine Medizin-Seite, auf der steht, dass Lachen entspannt und den Stoffwechsel positiv beeinflusst. Sogar Lachtherapien gibt es.

Nach einer Stunde Recherche im Netz schwirrt mir der Kopf. Unter anderem habe ich mir einige Informationen zu Lachclubs in Deutschland notiert. Der Lachclub Wiesbaden scheint mir besonders interessant: Seine Leiterin, Gudula Steiner-Junker, ist offenbar ein Lach-Urgestein. Sie hat die Lach-Bewegung in Deutschland begründet. Sie müsste doch die Antworten auf alle Fragen rund ums Lachen kennen ... Ich greife zum Telefon und rufe bei Gudula Steiner-Junker an.

Nein, sie würden sich im Lachclub keine Witze erzählen, meint sie. Sie lachen einfach so. Völlig unmotiviert. Zumindest zu Beginn der Lachstunden.

Sprecherin: Nach dem Lachen fühlen sich die meisten Clubmitglieder dann angeblich gut - und haben tatsächlich gute Laune.

Wenn ich Lust darauf hätte, könnte ich gerne vorbei kommen, meint die Lachclub-Leiterin.

Am folgenden Mittwoch steige ich tatsächlich in einen Zug nach Wiesbaden - auf dem Weg zu meiner ersten Lachclub-Stunde.

Die Vorstellung, dass ich in gut zwei Stunden damit beginnen soll, mit anderen grundlos zu lachen, ist mir suspekt.

Ich war bisher immer davon ausgegangen, dass wir lachen, weil uns etwas freut - weil wir etwas komisch oder lustig finden und uns gut fühlen.

Ich denke an einen Kindheitsausspruch meiner kleinen Schwester. Als sie meine Mutter zum ersten Mal mit rot-lackierten Fußnägeln sah, rief sie erfreut aus: »Oh, schön, Mama! Mit Ketchup!«

Meine Mundwinkel heben sich zu einem Lächeln.

Ich frage mich, was hier nun zuerst da ist: Finde ich die Geschichte lustig und lache als FOLGE dieses Lustigfindens - oder finde ich die Geschichte nur lustig, weil ich lache?

Bereits vor hundert Jahren haben manche Psychologen gemeint, dass wir Situationen oder Witze im Kopf nur abstrakt lustig finden. Ohne dabei irgend ein Gefühl zu haben. Erst der körperliche Vorgang des Lachens bewirke, dass wir uns dann auch gut fühlen.

Ich mache einen zweiten Selbstversuch: Ich versuche, an etwas Trauriges zu denken, und gleichzeitig zu lachen.

»Mein Opa ist tot.« Denke ich mir. - Und kann beim besten Willen nicht lachen. Es ist, als würde mein Kopf das nicht erlauben.

Dann anders herum: Ich lache - lautlos, weil ich im Zug sitze - und versuche jetzt den Gedanken »Mein Opa ist tot« zu formulieren. -

Es funktioniert schlecht: Meine Mundwinkel wollen nach unten, sobald ich ihnen den Gedanken aufzwinge - und wenn ich sie mit Gewalt oben halte, dann versucht irgend etwas, den unpassenden Gedanken aus meinem Kopf zu drängen.

Da gibt es eindeutig eine Abhängigkeit zwischen Kopf und Bauch - zwischen Körper und Verstand. Aber wer regiert wen?

Praktisch wäre es ja schon, wenn man den Kopf über die Bewegungen der Gesichtsmuskeln steuern könnte. (Einfach lachen - und schon sind alle Probleme und Sorgen weg. Es gäbe keine depressiven Menschen mehr. Das Leben wäre einfach nur noch schön.)

Zwei Stunden später betrete ich die Kindertagesstätte in Wiesbaden, in der sich der Lachclub jeden Mittwoch trifft.

Leise Musik läuft im Hintergrund. Gudula Steiner-Junker, die Leiterin, hat Henna-rote Haare. Sie begrüßt alle Ankommenden mit einem Lachen, das für mich übertriebenen und unecht klingt. Irgendwie fehl am Platz, weil es eigentlich gar nichts zu lachen gibt.

O-Ton Mix: Atmo Begrüßung

Sprecherin: Alle Ankömmlinge bekommen Tee angeboten - Lachtee nennen sie ihn. Alle duzen sich.

Esoterisch-spinnert kommt mir die ganze Sache vor. Frei nach dem Motto: Wir sind alle eine große Familie.

Oh nein.

Und dann kommt auch noch ein Mann auf mich zu, der für mich der Inbegriff des Nicht-Mannes ist. Er gibt mir die Hand - mit diesem schlaffen Händedruck, den ich zum Schreien und Davonlaufen finde - und sagt: »Hallo, ich bin der Dieter.«

Trotz kommt in mir hoch. Am liebsten würde ich gleich wieder gehen. Gleichzeitig kann ich mich selber nicht leiden, weil ich mal wieder so unaufgeschlossen bin und die ganze Lach-Nummer ja so gleich mal gar nix werden kann. Ich versuche, das Lächeln in meinem Gesicht zu halten - aber gleichzeitig koche ich vor lauter Ablehnung und stelle mich Dieter nicht mit Ulrike vor, sondern sage patzig meinen Nachnamen: »Mix.«

Und dann geht es los:

O-Ton Mix: Anfang Lachclub

Sprecherin: Wir sollen unseren Verstand abschalten, sagt Gudula Steiner-Junker. Ich weiß nicht, ob mir das gelingt.

Dann kommt die erste Vorübung zum Lachen: Die Lach-Großfamilie stellt sich im Kreis auf und macht eine Atemübung.

O-Ton Mix: Lachclub Atmen

Sprecherin:Indem die Lachgruppe tief einatmet, gähnt und Luft ausatmet, lockert sie das Zwerchfell, erklärt Gudula Steiner-Junker nebenbei. Dadurch setzt die Tiefenatmung ein und das Gehirn erhält mehr Sauerstoff.

Aus dieser tiefen Bauchatmung entsteht das sogenannte Reflexlachen. Ein rein körperliches Lachen jenseits von Denken und Verstand. Wenn der Körper über längere Zeit lacht, werden dabei Stresshormone abgebaut und Glückshormone ausgeschüttet.

Nachdem wir eine Weile im Stehen eingeatmet haben, beugen wir uns beim Einatmen vor und strecken die Hände in Richtung Kreismitte. Dann richten wir uns auf, werfen die Hände nach oben über den Kopf und stoßen dabei ein »aaa« aus, das in einen Lacher münden soll.

O-Ton Mix: aaa hahaha

Sprecherin: Künstlich und doof kommt mir das vor. Lauter verzerrte Gesichter um mich herum. Verrückt.

(Stimme wird langsam verzweifelt:)

Dann müssen wir uns an den Händen fassen. Schrecklich. Immerhin stehe ich nicht neben dem laschen Händedrücker von der Begrüßung. Wir sollen fühlen, wie die Lach-Energie wellenartig durch unsere Hände und Körper hindurch im Kreis herumfließt.

Als mir nach einer Stunde noch immer nicht zum Lachen ist, setze ich mich auf einen der kleinen Kindergarten-Stühle am Rand und schaue den anderen beim Lachen zu.

Einige sehen tatsächlich so aus, als würden sie das Lachclub-Lachen genießen. Mit glänzenden Augen stehen sie da, den Mund geöffnet, so dass man die Zähne sieht. Immer wieder bricht das Lachen aus ihnen hervor. Zum Beispiel aus Erich und Lila.

O-Ton Mix: Erich und Lila

Sprecherin:Ich frage mich, ob es vielleicht nur an mir liegt, dass ich so gar nicht in der Lage bin, mich in diese Art von Lachen einzufühlen.

O-Ton Mix: Lachen

Sprecherin: Gudula Steiner-Junker vergleicht die Wirkung des Lachens mit der Wirkung der Meditation: Indem sich die Lachenden ganz auf das Lachen konzentrieren, lösen sie sich vom Gedankenstrudel des Alltags. Sie werden freier.

O-Ton Mix: spüre Effekte

Sprecherin: Als ich nach dem Lachclub-Erlebnis abends vor meinem Badezimmer-Spiegel stehe, versuche ich es noch einmal. Vielleicht kann ich mich ja zum Lachen bringen, wenn ich allein bin. In der Gruppe kam ich mir schon irgendwie dämlich vor - habe mich geniert.

Aber auch vor dem Spiegel funktioniert das Lachen ohne Grund bei mir nicht.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Art von Lachen für mich das Richtige ist. Das Gefühl ÜBER etwas, also mit Grund zu lachen, ist wesentlich schöner.

Aber worin unterscheiden sich diese beiden Lach- Arten eigentlich?

Auf der Suche nach der Antwort lande ich auf der Couch - jedenfalls beinahe: Ich besuche Dr. Michael Titze - einen Psychotherapeuten aus Tuttlingen. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Lachen - und mit der Möglichkeit, durch Lachen, Krankheiten zu heilen.

Er muss mir doch sagen können, wann wir nun wirklich lachen, worüber - und ob es tatsächlich so gesund ist, grundlos zu lachen.

Im Großen und Ganzen bestätigt Titze die Methoden und Ziele des Lachclubs - auch wenn er selbst nicht mehr damit arbeitet. Vor Jahren aber hat er eine Lachgruppe mit depressiven Menschen geleitet. Das grundlose Lachen hat bei allen dazu geführt, dass ihre Stimmung deutlich besser wurde.

Diese Methoden der Lachclubs gehen auf einen indischen Arzt zurück, Dr. Madan Kataria.

O-Ton Mix: Kataria

Sprecherin: Wie Lachen sich genau auf den Körper auswirkt, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Viele gehen aber davon aus, dass der Körper beim Lachen zunächst auf Hochtouren gebracht wird. Stresshormone werden ausgeschüttet. Der Blutdruck und die Herzfrequenz steigen an. Zehn Minuten intensives Lachen sind laut Michael Titze genauso anstrengend wie eine Stunde joggen.

Nach einiger Zeit werden die Stresshormone wieder abgebaut und Glückshormone freigesetzt. Der Körper entspannt sich und der Lachende gerät in eine Art euphorischen Zustand.

Der Unterschied zwischen dem spontanen Lachen und dem Lachen im Lachclub ist: Beim spontanen Lachen finden wir eine Situation vor, die zum Beispiel paradox ist. Dadurch baut sich im Kopf eine Spannung auf.

Rein kognitiv können wir diese Spannung nicht auflösen. Also beginnen wir zu lachen. Durch diese körperliche Reaktion lösen wir die Spannung und befreien uns von ihr.

Beim Lachen ohne Grund gibt es keinen Auslöser. Wir müssen also so lange grundlos lachen, bis wir uns in einen euphorischen Zustand hinein gelacht haben.

(PAUSE - was Neues)

Seit wann es das Lachen gibt, ist schwer zu beantworten. Jaram van Hooff, ein Sozio-Ökologe an der Universität Utrecht, hat die Gesichtsausdrücke von Affen untersucht. Er geht davon aus, dass das leise Lächeln ursprünglich eine Drohgebärde war, während das schallende Lachen eher soziale Funktion hatte.

Michael Titze vermutet, dass es das Lachen bereits in der Steinzeit gab, als einen Ausdruck von Triumph.

O-Ton Mix: fight and flight

Sprecherin: Rein psychologisch gesehen hat dieses triumphierende Lachen natürlich auch das Ego gestärkt. Nach dem Motto: Wir haben es geschafft - das Mammut ist erlegt - wir sind gut.

Diese Funktion des Lachens, das eigene Ego zu stärken, ist bereits in der Antike betont worden. Aristoteles etwa ging davon als, dass wir am liebsten der lachende Dritte sind. Dass wir also besonders über Menschen lachen, die hässlich, ungeschickt oder dumm sind. So können wir uns über sie erheben und uns selbst in unserem Wert bestätigen.

In seiner Poetik schreibt Aristoteles über das Theater:

»Die Nachahmenden ahmen handelnde Menschen nach. Diese sind notwendigerweise entweder gut oder schlecht. (...) Demzufolge werden Handelnde nachgeahmt, die entweder besser oder schlechter sind, als wir zu sein pflegen, oder auch ebenso wie wir. (...) Auf Grund desselben Unterschieds weicht auch die Tragödie von der Komödie ab: die Komödie sucht schlechtere, die Tragödie bessere Menschen nachzuahmen, als sie in der Wirklichkeit vorkommen.«

Wir lachen also über einen Makel: Über den, mit der zu großen Nase oder über den Clown, der über seine übergroßen Füße stolpert.

Cicero ist schließlich der erste der Philosophen, der auf eine ganz andere Facette des Lachens hinweist: Lachen, beschreibt er, entstehe besonders dann, wenn wir etwas Bestimmtes erwarten und dann etwas ganz anderes eintritt. Auch Kant und Schopenhauer haben erkannt, dass wir über alles lachen, was aus dem Rahmen fällt - was also nicht der Norm entspricht

O-Ton Mix: Kant

Sprecherin: Das Kabarett setzt zum Beispiel auf diese Art von Komik. Es bringt die Menschen zum Lachen, indem es mit ihrer Erwartungshaltung spielt. Besonders wirkungsvoll ist das, wenn dabei Tabus gebrochen werden.

O-Ton Mix: Weiß Ferdl

Sprecherin: »So hoch ist mein Hund gesprungen, als ich heim gekommen bin.« Wenn wir über diesen Satz lachen, dann hat unser Lachen auch eine subversive Kraft. Es stellt eine bestehende Ordnung in Frage.

In vielen Fällen benutzen wir das Lachen aber auch als Selbstschutz. Indem wir lachen, distanzieren wir uns von einer Gefahr - und befreien uns so ein Stück weit von ihr.

O-Ton Mix: Selbstschutz

Sprecherin: Michael Titze nutzt diese distanzierende Wirkung des Lachens bei der Therapie.

O-Ton Mix: Öl ins Feuer

Sprecherin: Ein gutes Beispiel für diesen Perspektivwechsel durch Lachen erhalte ich wenige Minuten später. Noch während ich mich mit Michael Titze unterhalte, klingelt das Telefon. Am anderen Ende eine Frau, die sich permanent verfolgt fühlt. Sie will ihren Termin absagen - vermutlich, weil sie sich nicht aus dem Haus traut.

Das Gespräch mit läuft in etwa so:

»Warum wollen sie nicht kommen?« fragt Titze.

Sie: »Das kann ich ihnen nicht sagen!«

Vermutlich glaubt sie, dass ihr Telefon abgehört wird.

Statt die Frau zu bemitleiden oder gut auf sie einzureden, tut Titze etwas völlig Unerwartetes:

»Wissen sie, flüstert er mit leicht nervöser Stimme, ich bin ihnen dankbar, dass sie das jetzt nicht erwähnen. Ich glaube nämlich, dass mein Büro verwanzt ist!«

Es funktioniert: Die Patientin fängt an zu lachen - sagt noch rasch ein: also dann, bis Montag - und beendet das Gespräch. Indem sie über Titzes absurde Vorstellung gelacht hat, hat sie sich von ihrem eigenen Problem distanziert.

Ein schlagender Beweis für das Sprichwort: Lachen ist gesund.

Auch ich fühle mich gut, als Michael Titzes Praxis verlasse. Ich habe nicht nur Antworten auf meine Fragen rund ums Lachen bekommen, nein, das Gespräch mit ihm hat mich auch noch zum Lachen gebracht.

Ich fahre nach Hause - mit dem Wunsch, noch mehr zu lachen - und mit dem Eindruck, dass ich wohl noch nicht reif für den Lachclub bin - denn ich will beim Lachen nicht auf den Auslöser verzichten.