3-SAT, Nano online, 27.06.2001
Selten so gelacht
Jenseits des Polarkreises skandieren die Eskimos »Gesänge zur Erlangung der Fröhlichkeit«.
Wie Ringer fassen sie sich an den Oberarmen, die Nasenspitzen nur eine Handbreit voneinander entfernt, und stoßen eine Reihe schneller, rhythmischer »Hm Ha, Hm Ha-Laute aus. Bis einer von beiden in glucksendes Gelächter ausbricht. In Mexiko verehrt das Indianervolk der Purepecha die Sonne mit einem Lachtanz. Dabei nehmen sie die sonst hochgeachteten alten Leute derart auf die Schippe, dass sich alle schier ausschütten vor Lachen. Im südjapanischen Ort Kawabe-cho sorgt seit mehr als tausend Jahren eine Lachprozession für Trubel: Sie soll traditionell Anfang Oktober die übellaunige Göttin Niutsuhime aufheitern.

Dabei geben sich tausende grellgeschminkter Japaner auch gleich selbst lachtechnisch die Kante. In bunten Kostümen ziehen sie Sakeselig und schrill musizierend durch die engen Gassen zum Schrein der Göttin. Angeführt von einem Glockenschüttler mit Narrenstab, einer Art asiatischem Till Eulenspiegel, der das Lachen der Teilnehmer zum Wogen bringt. Aber warum versuchen Menschen immer wieder, sich und andere zum Lachen zu bringen? Ästhetisch sieht das nicht aus: Der Körper biegt sich in spasmischen Windungen, das Gesicht ist eine einzige faltige Grimasse und der Mund ist weit bis zum Zäpfchen aufgerissen. Warum also lachen wir so gerne?

Drei Gründe nennt William Fry, ehemaliger Professor der Stanford University, Kalifornien, und Lachforscher der ersten Stunde: »Lachen ist einfach ansteckend und verbindet dadurch auch wildfremde Menschen miteinander. Psychologisch gesehen beugt es Depressionen vor. Und die komplexen biochemischen Vorgänge im Körper stärken das immunsystem.« Weltweit beschäftigen sich mehr als 200 Wissenschaftler mit der Geletologie, der Lachforschung, darunter Biologen, Psychologen, Anthropologen, Neurologen, Sprachwissenschaftler und Verhaltensforscher. Dem Geheimnis der Heiterkeit wollen sie nicht nur mit Fragebogen und Slapstick-Filmen auf die Spur kommen, sondern auch mit Kitzelmaschinen und Adrenalinspritzen.

Die Ergebnisse: »Unser Lachen ist vererbt«, sagt Willibald Ruch vom Institut für Physiologische Psychologie der Universität Düsseldorf. Auch taubblind geborene Babys lachen uns genauso wie sehende und hörende Kinder an. Erst vor zwei Jahren und durch einen Zufall hat der kalifornische Neurologe Itzhak Fried unser Lachzentrum entdeckt: einen etwa vier Quadratzentimeter großen Bereich in der linken Gehirnhälfte, kurz vor dem Nervenareal, das die Bewegung von Armen und Beinen steuert. Lange bevor dererste Homo sapiens überhaupt einen Witz verstand, hat man sich auf der Erde schon schlapp gelacht. Mehr als sechs Millionen Jahre ist das her.

Verhaltensforscher vermuten, dass das Lachen eine Art archaisches Kommunikationsmittel war. »Wer lacht, fühlt sich gut und selbstsicher«, erklärt Michael Titze, Psychologe und Vizepräsident der internationalen Gesellschaft für therapeutischen Humor, Humor Care. Das deuten auch die gefletschten Zähne an. Dem Außenstehenden signalisiert es Überlegenheit, Spott und Hohn - also ein Auslachen. Den Mitgliedern der eigenen Gruppe eine lustvolle Spannungslösung.« Die soll nach der gemeinsamen Jagd oder einem Kampf auch die Muskeln gelockert haben. Gleichzeitig senkt das Lachen hohen Blutdruck, und die tiefere Atmung pustet die Lungen kräftig durch. Kurz: Lachen entspannt den Körper und die Seele.

Lernziel Fröhlichkeit

Lachen schafft eine meditative Pause fürs Gehirn. Lachclubs und Lachseminare boomen - die Deutschen entdecken das Lachen neu. Lachen ist wie Niesen. Mit einem wichtigen Unterschied: Es lässt sich verlernen. Die Sorge, dass uns das Lachen vergeht, bewegt so viele Menschen, dass eine Bewegung entsteht: Lachclubs gründen sich, Lachseminare verkaufen sich und es gibt einen Welt-Lachtag. Der uralte Lach-Laut des Menschen entzieht sich dem Bewusstsein und ist willentlich nicht zu steuern. »Ha!« ist die einzige Silbe, die ohne bewusste Modulation des Stimmapparats gebildet wird.

Nervöse Menschen lachen anders als selbstsichere. Wer gehemmt ist und den Mund zum Lachen nicht öffnet, lacht schon nicht mehr »haha«, sondern »hehe«. Unter hundert Partygästen ist jedes Lachen dem Einzelnen zuzuordnen. Am Lachen erkennt man den Menschen. Lachen ist kinderleicht. Mit vier Monaten lacht das Baby, wenn ihm der Bauch gekitzelt wird. Ein Jahr ist der Mensch alt, wenn sein Witzverständnis sich ausbildet. Er lacht, wenn die Mutter an der Flasche nuckelt. Inkongruenz nennen die Wissenschaftler, wenn Ereignisse von der gewohnten Ordnung abweichen. An dem Wiegen-Humor ändert sich bis zur Bahre nicht mehr viel. Die Pappnase im Gesicht findet noch der Seniorenclub zum Schreien.

Positive Psychologie heißt der Trend aus den USA. Bis in die vierziger Jahre waren die Deutschen führend in der psychologischen Beschäftigung mit Witz und Humor. Dann verging ihnen das Lachen, und kein ernsthafter Wissenschaftler durfte sich mit Humor beschäftigen, ohne dass die Kollegen ihn komisch angeguckt hätten. Depression füllt zehnmal mehr Regalmeter in den Universitätsbibliotheken als die Heiterkeit. Nun aber streift sich das alte Thema ein »Think positive«-T-Shirt über und verspricht im Menschen jene Kräfte zu stärken, die verhindern, dass er Patient wird. Schon in der Antike war Humor, vom lateinischen Wort für Flüssigkeit abgeleitet, das Mittel der Heiler, die Körpersäfte in die Balance zu bringen.

Humor als Heilmittel lässt sich heute vermarkten bis hoch zum HappySeminar. Die Psychologen Michael Titze und Christof T. Eschenröder listen elf Einsatzmöglichkeiten von Humor in der Therapie auf: Psychoanalyse, Individualpsychologie, Logotherapie, Verhaltenstherapie, Psychodrama, Gestalttherapie, provokative Therapie, rational-emotive Therapie, systematische Therapien, Transaktionsanalyse und kreative Aggressionstherapie. Der Witz gilt als Königsweg ins Unbewusste.

Alleine lachen ist schwieriger als alleine Sex haben. Der Mensch kann sich nicht selbst kitzeln, bis er lacht. Sarah-Jayne Blakemore, WelIcorrie Department of Cognitive Neurology, London, hat dieses Phänomen erforscht. Im Experiment kitzelt ein Roboter die rechte Handfläche von Probanden, wenn sie ihn mit der Linken dazu veranlassen. Reaktionen im Gehirn auf das Kitzeln lassen sich nur nachweisen, wenn der Roboter den Befehl mit mehr als einer fünftel Sekunde Zeitverzögerung ausführt. »Es sieht so aus«, sagt Biakemore, »als ob uns das Kleinhirn den Spaß vereitelt, uns selbst zu kitzeln, indem es die sensorischen Konsequenzen eigener Körperbewegungen vorhersagt.«

Zu Single-Zeiten boomt das organisierte Lachen wie Kennenlern-Partys. Jede größere Stadt hat es nötig. Ansteckungsgefahren bei beidem nicht ausgeschlossen. Am 3. Dezember 1998 gründete Scherzartikelhändler Michael Berger in Wiesbaden den ersten Lachclub Europas. 25 haben sich seitdem in Deutschland breit gemacht. Jedes Jahr ist Welt-Lachtag. Jeden Abend sitzen die Deutschen ihre Sofas aus Sehnsucht platt, vor Lachen zu platzen. Siapstick, Comedy und Humor war im Fernsehjahr 1999 ein Markt mit 3694 Programmstunden. Zehn Stunden pro Tag gibt es Witze-Warten als Freizeit-Totschläger Nummer eins. Die Witzeschreiber haben nichts zu lachen. Robert Provine, Professor an der University of Maryland, Baltimore, hat das Leid der Lachenmacher in Mechanismus und Struktur nachgemessen. 1200 Situationen, die bei Menschen Lachen auslösen, hat Provine untersucht: Weniger als zwanzig Prozent des Lachens hat mit Lustigem zu tun. Am liebsten lacht der Mensch über Alltägliches, über Banales. Über nichts.

Wer lacht, atmet tief und nur, wer tief atmet, hat die Möglichkeit zum Orgasmus. Lachen ist gesund, lautet die Generalthese der Lachbewegten. Sie stoppen die Ausatemgeschwindigkeit mit hundert Stundenkilometern. Die Schmerzempfindlichkeit haben sie mit Blutdruck-Manschetten nachgemessen. An den Unterarmen von Probanden haben sie die Manschetten aufgeblasen und festgestellt, dass Menschen, die einen lustigen Film sehen, später als Vergleichspersonen Schmerz empfinden, wenn der Luftdruck um den Unterarm steigt. Nicht so lustig für die Humor-Agitation: Eine Vergleichsgruppe, die einen Holocaust-Film vorgeführt bekam, war kein bisschen weniger vom Schmerz abgelenkt.

Ist Lachen gesund? Lachen entspannt die Psyche, sagen selbst die Skeptiker. Als Signal aus einer Zeit, als der Mensch noch keine Sprache besaß, aktiviert es die ältesten Regionen des Gehirns. Weil die alten Zentren arbeiten, blenden die jüngeren sich aus. Es entsteht ein meditativer Zustand, in dem sich das Kurzzeitgedächtnis reinigen kann - die Probleme des Alltags pausieren, wenn der Mensch lacht. Humor macht belastungsfähiger. Es ist gut belegt, dass Menschen mit Sinn für Humor aus belastenden Situationen mit weniger Stress entkommen. Die Freiheit der Lachenden erforschten die Wissenschaftler in einer Kammer der Depression.

Schwarz gestrichen. Die Pflanze in der Ecke vertrocknet. An der Wand ein Plakat, das vor Aids in Gefängnissen warnt. Die Sonne hinter schwarzen Jalousien ausgesperrt - wer unter den Versuchspersonen die Sonne im Herzen hatte, als humorvoll und heiter-gelassen eingestuft war, entkam der Kammer unbeeindruckt. Mimik und Laune der weniger humorvollen Probanden verdüsterten sich deutlich. Auch unter Versuchsbedingungen ist Humor ein Mittel, die Widrigkeiten des Lebens gelassener zu nehmen. Humorvolle Menschen können besser ausblenden, wenn in ihrer Umgebung etwas nicht stimmt. Mit Humor können wir schlimme Situationen durchstehen, ohne dass es an unserer inneren Stimmung nagt.