WDR5 - Redezeit, 23. Februar 1998
Lachen ist gesund
»Wir wollen das Geheimnis lüften, was das ist, Humortherapie und ein Beweis dafür, dass das zumindest eine ernste Sache ist, ist die Tatsache, dass meine Gäste heute sehr weit gereist sind, um die Humortherapie bei uns bekannt zu machen. Im Studio sind Michael Titze, er ist Psychotherapeut im schwäbischen Tuttlingen und René Schweizer aus Basel, Organisator von zwei Kongressen zum Thema Humor in der Therapie. Allerdings, bei der Berufsbezeichnung bei Ihnen, da muss ich schon passen.«
»Herr Schweizer, Sie leben von Humor. Wie geht das?«

René Schweizer: »Ich nenne mich Humorkonzeptionist. Ich mache sehr viele Dinge, die alle mit Humor zu tun haben. Ich habe Bücher geschrieben. Ich bin dabei, ein Soloprogramm auf die Beine zu stellen. Ich habe diesen Kongress initiiert und zusammen mit Herrn Dr. Titze zum Teil organisiert. Da gibt es einfach keinen Begriff, der existiert und den man nehmen könnte. So nenne ich mich Humorkonzeptzionist. Ich habe mich aber auch schon Anthropopeut genannt...

»Was ist das denn?!«

René Schweizer: »Anthropos ist doch der Mensch und ...peut kommt von Therapeut. Also der Menschentherapeut. Aber das ist natürlich mit einem Augenzwinkern zu genießen.«

»Wir werden Ihre humoristischen Aktionen noch kennen lernen im Verlauf der nächsten halben Stunde. Erst einmal die Frage an Sie Herr Titze: Was ist die Idee der Humortherapie?«

Dr. Michael Titze: »Ich muss Sie enttäuschen. Es gibt nicht »Die Humortherapie« – sondern einfach nur Humor in der Therapie. Lange Jahre habe ich eine sehr ernsthafte Therapie, also eine tiefenpsychologisch fundierte, auch analytische Therapie betrieben. Ich mache das heute als Einzeltherapie nach wie vor in meiner Praxis. Das, was ich als Humor in der Therapie ansehe, das mache ich dagegen in Gruppen. Ich sehe das als eine Möglichkeit, Menschen neben der konventionellen Therapie noch etwas anderes zu ermöglichen. So wie man neben einer konventionellen Therapie z. B. auch Yoga machen kann oder andere Entspannungsübungen. Die Erfahrung zeigt, dass der therapeutische Humor nicht allein nützlich ist, sondern den Klienten immer sehr viel Spaß macht.

»Haben Sie Mühe diese Idee in der Therapeutenzunft plausibel zu machen? Das sind ja eigentlich sehr ernste Leute.«

Dr. Michael Titze: »Wenn Sie mich das vor 10 Jahren gefragt hätten, dann hätte ich gesagt: Absolut! Vor 10 Jahren war ich einer der wenigen, die das betrieben haben und auch versuchten, die Idee des therapeutischen Humors zu propagieren. So habe ich auch t René Schweitzer kennengelernt. Er hat ein Buch von mir gelesen und mich angerufen. Dann haben wir uns zusammengesetzt und in Basel eine Serie von wissenschaftlichen Kongressen zum Thema Humor in der Therapie organisiert. Heute ist es so, dass immer mehr Kollegen sich mit der Idee anfreunden können, dass der Humor in der Therapie, oder auch die Freude, das positive emotionale Gestimmtsein in der Therapie sehr wichtig ist. Man muss sich nur die Publikationen, die in den letzten zwei bis drei Jahren in Deutschland erschienen sind, anschauen. Es gibt jedes Jahr drei bis vier neue Bücher darüber.«

»Trotzdem müssen wir einmal versuchen uns das vorzustellen. Was passiert, wenn der Patient auf die Couch kommt, sich da hinsetzt und Sie wollen jetzt humoristische Ansätze einbringen. Also, die Patienten wissen, dass sie jetzt lachen müssen.«

Dr. Michael Titze: »Sie müssen eben nicht! Das Paradoxe – Humor in der Therapie hat etwas mit Paradoxien zu tun – ist schlicht eine andere Art des Denkens und Verhaltens. So erklären wir unseren Gruppenteilnehmern zu Beginn einer Therapiesitzung etwa: "Ihr müsst in den nächsten 10 Minuten ganz ernst sein und wer lacht, der muss vor die Tür." Und was passiert? Das genaue Gegenteil Die Leute lachen dem Ernst ins Gesicht! Wir wollen überhaupt nicht, dass das Lachen forciert wird, dass es verschrieben wird und auf Kommando geschieht. Wenn wir lachen sollen, dann kann das auch nur spontan kommen und nicht gewollt.«

»Herr Schweizer, können Sie etwas anfangen mit dem Stichwort von Ihrem Kollegen, Lachen ist eine andere Art des Denkens?«

René Schweizer: »Ja sicher. Das ist ja mein Element. Wie der Fisch sich im Wasser bewegt, so bewege ich mich eigentlich dauernd im Lachen, außer, wenn ich auf die Straße gehe.«

»Gegen welche Art des Denkens ist der Humor gerichtet?«

René Schweizer: »Gegen dieses logische, normative Denken.«

»Wer ist der Feind des Lachens?«

René Schweizer: »Der Papst!«

»Nicht der Ernst?«

René Schweitzer: »Papst Ernst!«

»Ist der Ernst der Feind des Lachens?«

René Schweizer: »Nein. Der Ernst sollte eigentlich der Partner des Lachens sein. Und dass ist der große Irrtum, der heute die westliche Welt beherrscht, dass man meint, der Ernst könne als Grundlage des Lebens so bestehen, wie er seit langem leider besteht. Es ist mittlerweile klar, dass Ernst und Lachen ein Paar sind. Sie ergänzen sich. Sie müssen im Gleichgewicht sein, so wie es ungefähr gleich viele Männer und Frauen auf der Welt geben muss. Tag und Nacht müssen im Gleichgewicht sein.«

»Aber ich stelle mir vor Herr Titze, Ihre Patienten werden sich erst mal an den Gedanken gewöhnen müssen, dass sie – auch in der Gruppentherapie – nicht da sitzen, um sich auszuschütten und Leid zu verbreiten. Wie bringen Sie das jemanden bei, der mit Depressionen zu Ihnen kommt?«

Dr. Michael Titze: »Wenn jemand mit Depressionen kommt, dann denkt dieser Mensch in der Regel zu viel. Depressive Menschen wollen für gewöhnlich auch perfekt sein wollen. Sie wollen alles besser machen. Um eine Metapher zu gebrauchen: Depressive sind mit einem Hochspringer zu vergleichen, der um jeden Preis eine Höchstleistung bringen will. Wenn ich mir im Hochsprung die Latte aber auf 2,20 m lege, dann reiße ich wahrscheinlich die ganze Zeit. In der konventionellen Therapie würde man den Klienten motivieren, lediglich etwa 1,50 m hoch zu springen. Im Humor in der Therapie sagen wir, leg die Latte doch auf 20 cm und versuch da drüber zu springen.«

»Okay. Jetzt legen wir einmal für unsere Hörer die Latte auf 20 cm und die Frage an Sie beide: Die Gruppensituation ist gegeben. Da sitzen fünf Patienten zusammen. Jeder von ihnen hat ein bestimmtes Leid, weshalb er gekommen ist. Wie beginnen Sie es mit Humor zu arbeiten? Was geschieht konkret?«

Dr. Michael Titze: »Zum Beispiel würde ich eine Art Rollenspiel, das als Humordrama bezeichnet wird, vorschlagen. Man bringt sich mit seiner jeweiligen Problematik ein, z. B. einer Mobbing-Situation: Ich bin am Arbeitsplatz. Irgendjemand sagt mir etwas Provozierendes, macht sich vielleicht lustig über mich und dann erstarre ich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll und versuche jetzt, rhetorisch besonders gut zu sein. Doch jetzt geschieht etwas Paradoxes: Indem ich bewusst versuche, besonders gut zu sein, reiße ich die vorhin erwähnte Latte, bin also schlecht und dann blockiert es. Im Humordrama werden die Teilnehmer aufgefordert, den genau entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Sie sollen sich nach Kräften bemühen, rhetorisch möglichst schlecht dazustehen ...«

»Wie denn? Sie als Therapeut fordern jemanden auf besonders schlecht zu sein?«

Dr. Michael Titze: »Es ist so, dass ich den Klienten nicht wörtlich auffordere besonders schlecht zu sein, sondern diesem Menschen sage, sich so zu verhalten, wie sich als zwei- oder dreijähriges Kind in einer solchen Situation verhalten würde. Das ist ein kreativer Prozess, denn man muss sich zunächst überlegen, wie ist man als Kind gewesen? Als Kind hatte man Bewältigungsmöglichkeiten, die einem mit der Zeit verloren gegangen sind. Man muss im Humordrama wieder dahin zurückfinden. Das Erste ist, dass man weniger spricht und mehr handelt, dass man mehr in die Aktion hineingeht, dass man Dinge tut, die für einen Erwachsenen absolut unmöglich sein können. Stellen wir uns zum Beispiel Menschen mit Sprechängste vor. Das sind Leute die manchmal sagen, ich habe Rhetorikkurse gemacht und wurde dabei mit Video aufgenommen, und als ich mich später auf dem Bildschirm gesehen habe, hab ich mit Entsetzen festgestellt, wie schlimm und peinlich bin ich da. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Diesen Leuten sagen wir, machen Sie es einmal folgendermaßen: Die Kamera läuft, Sie stellen sich vor die Kamera und halten eine Ansprache, z. B. machen Sie eine Grabrede für Ihren verstorbenen Goldhamster. Versuchen Sie es genau so zu machen, wie das ein kleines Kind macht. Ein kleines Kind kann vor allem noch nicht viel reden. Dieses Defizit lässt sich dadurch gezielt erreichen, dass der Redefluss gehemmt wird, indem zum Beispiel Brausepulver in den Mund genommen wird. Versuchen Sie einmal mit Brausepulver im Mund zu reden. Wenn man sich darauf konzentriert dieses Brausepulver nicht zu schlucken und dann auch noch versucht, einigermaßen artikuliert zu sprechen, dann hört sich das anders an als die Rede eines rhetorisch geübten Erwachsenen!«

»Wir haben Brausepulver auf dem Tisch. Wir wollen natürlich das Experiment machen. Wer von Ihnen gibt sich freiwillig her, die Nummer mit dem Brausepulver auszuprobieren?«

René Schweizer: »Ja, ich probiere es einmal. Ich hab das noch nie gemacht. Also ich mach das jetzt mal auf und das muss jetzt in den Mund...

»Das ist in dem Fall Himbeergeschmack, die ganze Tüte voll ...«

Dr. Titze: »Nicht runterschlucken!«

»Jetzt hat er die ganze Tüte auf einmal genommen. Was nun?«

Dr. Titze: »Und jetzt kommt die Ansprache...

»... an den toten Hamster.«

René Schweizer (etwas »behindert«): »Guten Tag meine Damen und Herren, liebe Gemeinde. Ich bin zu Tode erschüttert über den Tod meines Goldhamsters Fridolin ...«

»Also das ist eine richtig schwere Aktion. Wir können es uns vorstellen. In der Gruppensituation werden wohl alle anderen über den lachen, der das gemacht hat und dann ist das doch Schadenfreude.«

Dr. Michael Titze: »Es ist so, wenn über mich gelacht wird, ohne dass ich will, dass über mich gelacht wird, dann ist das eine traumatische Erfahrung. Das ist etwas, was sich seit der Pubertät bei nicht wenigen Menschen ergeben hat. In der Folge entwickeln sie diese perfektionistische Strategie: Ich versuche keinen Fehler zu machen, ich versuche auf die anderen ernst zu wirken, in jeder Hinsicht gut zu sein - und dennoch muss ich immer wieder feststellen, dass über mich trotzdem gelacht wird. So setzt sich die fixe Idee fest: Ich bin nicht gut genug. Wenn ich im Humordrama so etwas Albernes mache, wie eben demonstriert, dann weiß ich, dass das von vornherein lächerlich ist. So wird der Mut zur Lächerlichkeit eingeübt. Dadurch erfolgt eine Immunisierung gegenüber der Angst vor dem Ausgelachtwerden. Und die Folge ist, dass jedwedes Lachen sozusagen als eine Art Applaus für eine Leistung erlebt wird, die eigentlich aus der Sicht des Erwachsenendenkens keine Leistung ist, aber auf der Erlebnisebene von Kindern ungeheuer viel Spaß macht. Es gibt übrigens auch noch eine andere Möglichkeit, um diesen Effekt zu erreichen: Man nimmt einen Schluck Wasser, darf den nicht runterschlucken und versucht dann zu sprechen.«

»War Ihnen das jetzt nicht peinlich, mit Brause im Mund, hier im Radio zu sprechen?«

René Schweizer: »Nein. Ich bin gerne peinlich.«

»Aber ich tippe mal, im wirklichen Leben dauert dieser Erfolg länger als jetzt bei uns in fünf Minuten; einmal Brausepulver und fertig.«

Dr. Michael Titze: »Ja. Ich denke, es geht nicht so schnell. Die Gruppen laufen zwei Jahre. Wir hatten gestern eine Gruppe gehabt, in der sich jemand zum ersten Mal mit seiner Schamproblematik eingebracht hat und er hat sich sehr schwer getan. Er wusste, dass er in einer Gruppe war, in der seine Problematik mit viel Wohlwollen gesehen wird. Er hat sich dennoch schwer getan und ist erst allmählich, aus der Gruppensolidarität heraus, in ein wirklich befreiendes Lachen gekommen. Das hat etwa 30 Minuten gedauert. Dann allerdings hat er gesagt, es ist erst mal seit vielen Jahren für mich die Erfahrung gewesen, dass ich gerne lache und dass ich gerne mit anderen lache, ohne dass die anderen, die lachen, als meine Gegner erlebt werden.«

»Herr Schweizer, sagen Sie uns etwas über die vorbeugende Wirkung des Lachens. Da wissen Sie Bescheid, oder?«

René Schweizer: »Ich persönlich habe mir ein Soloprogramm ausgedacht, das ich zum Jahrtausendwechsel bringen werde. Da werde ich einfach mal die menschliche Situation analysieren, auf meine Art und Weise.«

»Sie haben schon ein paar humoristische Aktionen hinter sich. Darf ich Sie bitten uns eine zu erläutern?«

René Schweizer: »Ja. Ich hab' vor über 20 Jahren einmal an das Fundbüro in Basel geschrieben, ich hätte den Verstand verloren. Ich habe nachgefragt, ob der abgegeben sei. Dann hab' ich eine Verlustanzeige zugestellt bekommen. Die kann ich rasch vorlesen, ich hab' das hier ...«

»Mit offiziellem Briefkopf?«

René Schweizer: »Ja, mit offiziellem Briefkopf. Da steht: Verlustanzeige / (Da hab' ich reingeschrieben):
Gegenstand: Rot mit gelben Tupfen. Hört auf den Namen Erwin.
Datum des Verlustes, Tag und Stunde: 21.01.1977 ca. 16:00 Uhr.
Schätzungsweiser Wert des Gegenstandes/Franken: ca. 45,00.
Ort des Verlustes: Barfüßer Platz.
Name und Vorname: Schweizer, René.
Beruf: Verwaltungsratspräsident der Firma Ga-Ga.«

»Bei uns geht es heute um Humortherapie auf Radio 5. Im Studio sind Michael Titze und René Schweizer. Beide sind aktiv in der Verbreitung dieser Idee des Humors in der Therapie. Lachen als Medizin, als heilsame Kraft. Die Frage an Sie beide: Kann man Humor, kann man Lachen so lernen wie Englisch oder Schlittschuhlaufen?«

Dr. Michael Titze: »Ja, ich glaube: wieder lernen. Wenn wir – Sie, René Schweizer und ich – an unsere Kindheit denken, dann werden wir uns daran erinnern, dass wir damals gut lachen konnten. Ich denke an die Schulhöfe in, denen so laut gelacht wird und Freibäder usw. Aber viele von uns haben das Lachen irgendwie verloren. Es ist ihnen abhanden gekommen, wie dieser Verstand, der auf den Namen Erwin hört. Es geht einfach darum, dieses Lachen wiederzufinden, das in uns schlummert.«

»Welches Lachen hätten Sie denn gern, Herr Schweizer? Es gibt ja tausenderlei Arten zu lachen.«

René Schweizer: »Ja, also die Amerikaner sind jetzt ein bisschen abgekommen von dem Humor, also nur Humor. Sie nennen das jetzt freudvolles Lachen. Das ist ja wichtig, denn nur dieses freudvolle Lachen, dieses positive Lachen, dieses ansteckende Lachen, um die Leute zu einem Gemeinschaftsgefühl zu bringen, das ist eigentlich dass, was gemeint ist.«

»Nicht das hämische Lachen. Nicht das schüchterne Kichern.«

René Schweizer: »Das ist eigentlich nicht dass, was wir beabsichtigen. Es ist auch eine relativ schwierige Sache mit diesem Begriff umzugehen. Am liebsten würde ich einen anderen, einen neuen erfinden. Aber es ist mir noch keiner eingefallen.«

»Nun ist das ja eine hohe Kunst, wenn zwei überhaupt zusammen lachen können. Man muss ja in Sachen Humor irgendwie auf einer Wellenlänge liegen. Das stelle ich mir, für Sie Herr Titze, äußerst kompliziert vor. Vielleicht haben Sie ganz andere Humorvorstellungen als Ihre Patienten?«

Dr. Michael Titze: »Wenn es die inhaltlichen Vorstellungen wären, dann gebe ich Ihnen recht. Aber da wir ja versuchen, uns in die Gegenwelt zum Ernst des Lebens, in die Welt des Kindes hineinzubegeben, ist es eben wieder diese andere Form des Denkens. Ich denke, wenn es möglich ist, dass ein Therapeut und ein Klient anders miteinander umgehen als es zu ihren jeweiligen Rollen passt: der Therapeut als der kompetente Partner, dessen Rolle durch die Gesellschaft definiert wird, und der Klient als der inkompetente, der mit den Lebensaufgaben nicht klarkommt, der also irgendwie minderwertig ist. Wenn diese Diskriminierung im gemeinsamen Lachen aufgehoben wird, dann sitzen Therapeut und Klient beide im gleichen Boot ...«

»Sie werden auch schon mal ausgelacht?«

Dr. Michael Titze: »Aber natürlich! Das ist ja genau das, was intendiert ist. Letztendlich dient therapeutischer Humor, oder Humor in der Therapie dazu, die Angst vor dem ausgelacht werden zu einer Immunisierung zu bringen, so dass sie einfach vergeht.«

»Sind eigentlich Männer und Frauen beim Lachen gleich?«

Dr. Michael Titze: »Da gibt es natürlich auch schon Untersuchungen und es wird gesagt, dass das nicht so ist. Ich denke, große Unterschiede gibt es nicht. Es ist heute – Gott sei Dank – nicht mehr so, dass Mädchen ganz anders sozialisiert werden als noch vor 20 – 30 Jahren. Damals sicher, aber heute denke ich, ist es so, dass Menschen sehr gut dastehen wollen und dass sie nicht lächerlich sein wollen.
Lächerlich sein heißt unvollkommen sein. Das heißt, Humor in der Therapie läuft darauf hinaus, dass dieser faustische Drang, hundertprozentig, vollkommen zu sein, relativiert wird und dann findet man ganz spontan und von selbst zum Lachen.«

»Eine Frage, die müssen wir unbedingt noch klären, aktuell zum Karneval. Was halten Sie beide eigentlich davon, wenn es sozusagen Humor nach Kalender gibt?«

Dr. Michael Titze: "Ich denke, es ist ganz großartig, dass es überhaupt Humor gibt in einer bestimmten Jahreszeit. Dass es nach Kalender geht, darüber lässt sich streiten. Wenn es das nicht gäbe, dann wären wir sehr viel ärmer dran.«

»Also gut dran sind alle Landstriche, die Karneval haben?«

René Schweitzer: »Ja, ich finde eigentlich schon. Wenn man denkt, worauf der Karneval fußt, dass das damals, ich glaube im Mittelalter ist das entstanden, dass das gegen die Autorität ging. Das war ein Ventil noch viel stärker als heute. Ich meine, wenn man gewisse Sachen, die man im Fernsehen sieht, nicht mehr belustigen, dann hat das nichts mit dem Phänomen zu tun und auch nicht mit dem Datum. Ich finde es an sich schon gut, dass es das gibt. Wenn dann halt Unfähige oder minder Begabte ihren Quark auf die Menschen loslassen, dann ist das nicht darauf zurückzuführen, dass es das Phänomen Fastnacht gibt, sondern darauf, dass die das einfach nicht mehr richtig beherrschen.«

»Herr Titze, dieses 6 Tage lang ausgelassen sein, sich verkleiden, in eine andere Rolle schlüpfen, dem sagt man ja nach, dass es direkt eine reinigende Wirkung haben kann.«

Dr. Michael Titze: »Absolut! Denken Sie mal dran, wie gerne auch Kinder sich kostümieren und verkleiden. Ich denke, ein Erwachsener, der sich eine Maske aufsetzt und ein Kostüm anzieht, dieser Erwachsene nimmt dadurch auch eine andere Rolle ein. Wenn ich in der Rolle des nicht ernsten Erwachsenen bin, dann braucht es gar nicht viel, ich muss da nicht unbedingt Alkohol trinken, sondern es steckt an, es kommt dann von selber. Viele sagen zu mir, wie schlimm ist es, dass wenn Aschermittwoch ist, ich nicht mehr der bin, der ich in diesen 6 Tagen gewesen bin.
Wir versuchen, weil Sie mich ja gefragt haben, was therapeutischer Humor bewirken kann, wir versuchen die Leute soweit zu kriegen, dass sie sich immer wieder, nicht dauernd, aber immer wieder auch im Alltagsleben in der normalen Jahreszeit, nicht nur in der fünften, so fühlen, als hätten sie sich eine Maske aufgesetzt und zwar die Maske der Freude.«

Aber festhalten können wir für heute, was wir gerade hier tun mitten im Karneval, das ist angewandte Humortherapie und gesund!