Radio Wilantis, Beitrag vom 19.09.2007
Gelotophobie - die ständige Angst ausgelacht zu werden
So richtig laut loszulachen, alles raus zu lassen, kann so gut tun. Unter dem Slogan »Lach dich gesund« werben Therapeuten sogar für Lachseminare. Dabei entspannen sich die Teilnehmer und bauen Stress ab, indem sie miteinander lachen.
Doch einigen Menschen schmerzt das Lachen in der Seele. Bei jedem noch so beiläufig gehörten Gelächter vermuten sie, da lacht jemand über sie. Gelotophobiker leben in der ständigen Furcht, ausgelacht zu werden.
Und das Phänomen ist gar nicht mal selten, vermuten Willibald Ruch und René Proyer von der Universität Zürich. Ihren Schätzungen zufolge leiden rund 10 Prozent der Bevölkerung unter der übertriebenen Angst lächerlich zu wirken.

Der ehemalige Präsident der Internationalen Gesellschaft für Humorstudien, Willibald Ruch, hatte sich früher nur mit den positiven Seiten des Lachens beschäftigt. Seit aber immer mehr Menschen von ihren negativen Erfahrungen mit dem Humor berichteten, untersucht Ruch die Angst vor dem Lachen. Typisch für einen Gelotophobiker sei der Fall eines Mannes, der ihm erzählte, dass er allein in einem Restaurant gesessen habe, während am Nebentisch oft und laut gelacht wurde. Irgendwann hielt der Mann es eigenen Aussagen zufolge nicht mehr aus, er erhob sich und forderte die verdutzten Tischnachbarn auf, ihn endlich nicht mehr auszulachen.

Der Tuttlinger Psychotherapeut Michael Titze hatte die Gelotophobie in den neunziger Jahren zum ersten Mal beschrieben. Der Begriff setzt sich aus den griechischen Wörtern »gelos« für Lachen und »phobos« für Angst zusammen. Allerdings ist das Phänomen unter Experten umstritten. Borwin Bandelow vom psychiatrischen Institut der Universität Göttingen glaubt nicht, dass es Menschen gibt, die sich ausschließlich vor dem Lachen ängstigen. Solche Menschen hätten eine Sozialphobie, d.h. sie leiden auch unter anderen sozialen Ängsten wie z.B. von anderen Menschen bewertet zu werden oder in der Öffentlichkeit zu reden.

Der Züricher Psychologe Ruch war anfangs auch skeptisch. »Zunächst habe ich das Problem auch nicht ernst genommen«, sagt er. Dann habe er sich aber wissenschaftlich mit dem Thema befasst und mit seinem Team einen psychologischen Test entwickelt, mit dessen Hilfe er die Gelotophobie von anderen Sozialphobien abgrenzen kann. Eine Studie der Züricher Psychologen mit mehr als 800 Teilnehmern ergab: Gelotophobie ist eine Erkrankung, die unabhängig vom Geschlecht, vom Alter und von der regionalen sowie sozialen Herkunft ist. Elf Prozent der ansonsten psychisch gesunden Teilnehmer hätten eine übermäßig starke Angst gezeigt, ausgelacht zu werden.
Gelächter kann sehr vielseitig sein: Freundlich, schadenfroh, ausgelassen, gehässig oder verlegen. Gelotophobiker können diese verschiedenen Lacharten nicht voneinander unterscheiden, weil das innere Bewertungssystem für soziale Situationen abnorm verändert ist, vermutet Ruch. Die Ursachen für die paranoide Angst vor Gelächter sind noch weitestgehend unklar. Betroffene könnten in ihrer Kindheit häufig der Lächerlichkeit preisgegeben worden sein oder die Eltern haben das Kind nicht ernst genommen.
Allerdings weisen Zwillingsstudien darauf hin, dass Sozialphobien teilweise auch genetisch bedingt sind. Das Konzept Gelotophobie ist noch neu und umstritten, die Ursachen unklar. So wundert es kaum, dass lediglich Ansätze für mögliche Therapien vorhanden sind. »Man muss solchen Menschen helfen, zu erkennen, was Spaß und was Ernst, was Mitgefühl und was Ironie ist«, so Ruch. Besonderes Augenmerk sei auf die Mimik zu legen. Denn lustiges, harmloses Lachen erzeugt Fältchen um die Augen, boshaftes Gelächter nicht.