Arte, 5. Juli 1999
»Unser Universum - Wurzeln« (gekürzt)
Beim Lachen hüpft das Zwerchfell, das Herz schlägt schnell, die Pupillen werden groß, die Beinmuskulatur erschlafft - manchmal auch die Blase. Lachen lindert Schmerzen, entspannt, stärkt den Lebenswillen, stimuliert die Abwehrkräfte und befreit von Ängsten. Inzwischen ist wissenschaftlich belegt, dass Lachen die Chemie des menschlichen Organismus positiv beeinflusst und den allgemeinen Gesundheitsprozess fördert.
Lächeln können wir bereits aus 90 Meter Entfernung erkennen - anders als bei anderen Gesichtsausdrücken. Der Grund: Lächeln ist ein Relikt der Evolution aus der Zeit unserer sprachlosen Vorfahren. Schon von weitem signalisiert man so: »Ich will Dir nichts Böses.«
Sprecher: Jeder kennt es - jeder tut es - jeden Tag. Auf der ganzen Welt verstehen Menschen ein lachendes Gesicht als Ausdruck positiver Gefühle, wie Lebensfreude, körperliches Wohlbefinden, Humor oder zumindest Zufriedenheit.
Das Lachen und sein kleiner Bruder, das Lächeln, sind soziale Strategien, die von allen Menschen eingesetzt und verstanden werden. Unterschiedlich sind nur die Dinge, über die gelacht wird.
Jede Kultur hat ihre ganz eigenen Vorstellungen darüber, was zum Lachen ist und was nicht.
Chinesen beispielsweise haben ganz andere Werte als wir und damit einen anderen Humor.
Sie finden es lustig, Krokodile mit lebenden Küken zu füttern, bei uns wären die Menschen wohl empört.
Doch egal worüber man lacht, ein Lachen oder ein Lächeln stärken die zwischenmenschlichen Bindungen. Wird unser Lächeln aber nicht erwidert, ist uns das peinlich.
Gesichter, auf denen das Lachen fehlt, erscheinen uns unergründlich. Ein solches Gesicht ist schwer einzuschätzen und wird deshalb manchmal fast als gefährlich erlebt.
Wenn uns jemand anlächelt, fällt es uns schwer, aggressiv zu reagieren. Fast immer lächeln wir zurück. So verhindert das Lächeln im Alltag Spannungen - und Aggressionen schon im Vorfeld.
In Gesellschaft anderer lachen Menschen bis zu 30-mal mehr als alleine. Lachen ist hier ein soziales Signal, das dann auftritt, wenn wir uns in der Gruppe wohlfühlen. Es soll bestätigen und Übereinstimmung schaffen. Je mehr gelacht wird, desto stärker werden die Bindungen in der Gruppe, möglicherweise einer der Gründe, wieso Lachen so ansteckend ist.
Ein Lachen erkennen wir bis auf eine Entfernung von 70 Metern, schneller als jeden anderen mimischen Gesichtsausdruck. Vermutlich ist das ein Erbe der Urzeit, das schon von Fern signalisiert: Ich will dir nichts tun, von mir geht keine Gefahr aus.
Der Psychologe, Dr. Michael Titze beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen Lachen und hält es für eine der ältesten menschlichen Kommunikationsformen überhaupt.

Dr. Titze: Ursprünglich ist das Lachen wohl zunächst aus einer ritualisierten Drohgebärde hervorgegangen, dem Fletschen der Zähne. Dieses Zähne fletschen wurde von den Angehörigen der eigenen Gruppe nicht als aggressiv aufgefasst, wohl aber von Gruppenfremden, zum Beispiel einem Gegner, der abgeschreckt werden sollte.
Aber nachdem dieser Gegner besiegt worden war, entstand aus dieser Drohgebärde ein Triumphgeschrei: und das war schon genau das, was das Lachen besagt: Eine lustvolle Lösung von Spannung nach einem Kampf, nach einer Gefahr.

Sprecher: Das Lachen hat sich in der menschlichen Evolution so sehr bewährt, das es dem Menschen in Fleisch und Blut übergegangen ist und auf Kommando abgerufen werden kann, zum Beispiel beim Kitzeln.

Dr. Titze: Dies ist an sich ein angeborener Reflex, aber man weiß, dass das Kitzeln bei manchen Menschen auch als sehr unangenehm empfunden wird. Die Vorstellung, dass sich jemand totlachen kann, kommt aus dem Dreißigjährigen Krieg. Sie geht auf eine ganz üble Foltermethode zurück. Angeblich sind es schwedische Soldaten gewesen, die sich folgendes ausgedacht haben: Sie banden die armen Delinquenten fest und streuten ihnen Salz auf die Fußsohle, das dann von Ziegen abgeleckt wurde. Der resultierende Kitzeleffekt hat dazu geführt, dass der körperliche Effekt, der sich beim Lachen ergibt, so übersteigert wurde, dass einige der malträtierten Menschen möglicherweise einen Herz-Kreislauf-Kollaps erlitten haben.

Sprecher: Fälle, in denen sich Menschen totgelacht haben sind nicht verbürgt. Aber fest steht, heftiges Lachen ist körperliche Schwerstarbeit. Mit 100 km/h entweicht die Luft aus der Lunge, aber wir nehmen auch drei- bis viermal so viel Sauerstoff auf wie gewöhnlich.
Mit bis zu 500 Schwingungen/sec bricht das Lachen aus der Kehle, Frequenzen bei denen selbst Opernsänger nicht mithalten können.

Dr. Titze: Lachen führt zu einer Inanspruchnahme fast sämtlicher Muskeln im Körper.
Das Zwerchfell hüpft und massiert die inneren Organe. Die Skelettmuskulatur wird zunächst sehr stark angespannt, um sich später dauerhaft zu entspannen. Der Entspannungseffekt, der sich dann ergibt, ist der gleiche, wie wenn Sie einige Kilometer Jogging hinter sich gebracht haben.

Sprecher: Lachen ist gesund und ansteckend wie ein Virus. Um die Welt gegangen ist ein Vorfall im spanischen Parlament im Jahr 1994. Während einer Debatte kann eine Abgeordnete plötzlich nicht mehr an sich halten und beginnt zu lachen, dem Redner nach ihr geht es nicht besser. Schließlich muss die Debatte abgebrochen werden. Was ist passiert? Ein kollektiver
Lachkrampf ...

Dr. Titze: In Situationen, in denen Lachen völlig unangebracht ist, wird gewöhnlich am heftigsten gelacht. Ich vermute, dass der Redner im spanischen Parlament aus irgendwelchen Gründen (vielleicht fiel ihm etwas Absurdes auf) plötzlich einen starken Impuls zum Lachen bekam, gleichzeitig aber anfing, sich zu kontrollieren. In diesem Fall entsteht ein Konflikt, der in der Angst kulminiert, dass sich der eigene Körper verselbständigen könnte. Gleichzeitig setzt sich der Gedanke fest: Was werden die anderen jetzt über mich denken! Und das ist genau der Moment, wo das Lachen am heftigsten ist. Man könnte sagen, das Lachen ist der Ausdruck unserer personalen Freiheit, die sich über alles hinwegsetzt, was mit Konventionen, Zwängen zu tun hat, und wenn das Lachen einen einmal übermannt hat, dann ist es nicht mehr möglich, davon weg zu kommen.

Sprecher: Einen eigenen Weg gehen die Mitglieder des ersten deutschen Lachclubs in Wiesbaden. Sie nutzen eine Technik, die ein indischer Arzt in den letzten Jahren entwickelt hat.
Durch Atemübungen, Gymnastik und Anleihen aus dem Yoga bringen sie ihren Körper in einen Zustand in dem sich das Lachen verselbständigt. Lachen sagen sie, kann man trainieren, so ähnlich wie Aerobic.

Gudula Steiner-Juncker: Bei dieser Lachtherapie geht es ja darum, den Intellekt ruhig zu stellen. Es geht um eine ganz andere Ebene. Das Lachen kommt aus dem Bauch, es ist etwas Direktes, Ursprüngliches, Natürliches. So wie wir lachen, ist man im Hier und Jetzt, da muss man nicht nachdenken so wie bei Witzen - hab ich das jetzt verstanden oder habe ich jetzt wieder an der falschen Stelle gelacht. Darum geht es uns hier nicht, uns geht es ums Anlachen und ums miteinander Lachen.

Sprecher: Das Gruppengelächter besteht aus 14 Übungen. Die Teilnehmer klatschen rhythmisch in die Hände und skandieren die einzelnen Lachsilben bewusst in Hohs und Hahs. Dann schließen sich Atem- und Entspannungsübungen an. Beim Begrüßungslachen werden Berührungsängste abgebaut. Das summende Lachen entsteht bei geschlossenem Mund, tief im Bauch und trainiert die Lungen-und Bauchmuskulatur. Die Intensität der Übungen steigert sich. Mit Vokalen arbeitet man beim aufschwingenden Lachen und beim Ein-Meter-Lachen. Schließlich das Finale, das Löwenlachen. Es hat einen ernsten Hintergrund. Mandeln und Rachenraum werden intensiv durchblutet und sollen so besser gegen Keime geschützt sein.

Teilnehmerin: Ich habe so einen Frusttag heute gehabt und jetzt geht es mir gut, ich kann es nicht anders sagen.

Sprecher: Obwohl es uns heute besser geht denn je, wurde in den 50er Jahren dreimal mehr gelacht als heute. Der Grund: Der ständig steigende Zwang perfekt sein zu wollen, führt zu ständiger Selbstkontrolle und die verhindert das Lachen. Michael Titze hat einen Weg gefunden, das Lachen wieder hervor zu holen, durch einen Reflex.

Dr. Titze: Über eine relativ einfache Atemtechnik wird ein Zustand von Spannung erzeugt, der danach weggelacht wird. Wenn das Ganze, es sollte in einer Gruppe gelacht werden, dann 2, 3 oder 4 Minuten geht, ist es zunächst noch so, dass das Lachen gleichsam bewusst angekurbelt werden muss. In der Folge ergibt sich aber ein Effekt, der dazu führt, dass sich das Lachen - durch Rückkoppelung - aus sich selbst heraus immer wieder von Neuem ergibt. So sind die Teilnehmer einer Lachgruppe nach etwa 10 Minuten nicht mehr in der Lage, wieder auf zu hören. Sie wollen das auch nicht, denn sie empfinden das sog. Reflexlachen als sehr angenehm, und erst nach 20 oder 25 Minuten ergibt sich dann ein entspannter Effekt, und dann kann das Lachen langsam auslaufen.

Teilnehmerin: Das automatisiert sich irgendwann und dann kann man gar nicht mehr anders, dann lacht man einfach, das kommt.

Teilnehmer: Das Gefühl hält 5-6 Stunden an, aber allein die Erinnerung daran macht mich wieder fröhlich.

Teilnehmerin 2: Für mich war es also das erste Mal. Ja ich bin gleich reingekommen und es waren so ein paar tolle Lacher dabei, da musste man einfach immer mitlachen.

Sprecher: Die Kinder der Teilnehmer haben kräftig mitgelacht. Kinder lachen zehnmal mehr als Erwachsene. Doch in der Kindheit entstehen auch die ersten frühen Verletzungen oder Beschämungen. Viele Erwachsene leiden ein Leben lang unter ihrer Scham.

Dr. Titze: Scham entsteht, wenn ich mich beurteilt fühle, wenn ich von anderen zum Objekt gemacht werde. Wenn dieses Beurteilt werden mit einem grinsenden oder spöttisch lachenden Gesicht einher geht, dann entsteht Scham-Angst. Dann kommt es zu einer muskulären Verkrampfung - und dadurch wird das Gefühl, Objekt zu sein und zwar ein lächerliches Objekt, noch mehr verstärkt. Denn man ist nicht locker und gelöst, sondern verkrampft wie ein hölzerner Hampelmann.

Sprecher: Diese Übung dient der Immunisierung gegenüber der so genannten Gelotophobie, der Angst vor dem Ausgelacht werden, der Angst lächerlich zu sein.
Die Humortherapeutin ermuntert die Patientin auf das Gelächter der anderen mit Lachen zu reagieren und hilft sich so, sich selber nicht zu ernst zu nehmen.
Mit gebundenen Armen und Beinen und einem Mund voll Wasser, durchlebt eine Patientin mit der Therapeutin eine belastende Situation erneut. Doch sie ist reduziert, sie kann sich weder entsprechend bewegen, noch richtig sprechen.

Dr. Titze: Wenn ich es in dieser Therapiesituation durch eine solche Reduktion freiwillig schaffe, bewusst hölzern, verkrampft, also komisch zu sein, habe ich Kontrolle über meinen Körper. Daraus ergibt sich dann ein Effekt, der sehr befreiend ist. Das Lachen der anderen ist nunmehr die Bestätigung dafür, das ich, obwohl ich reduziert bin, nicht nur gut genug bin, sondern offenbar auch ein Anlass zum Amüsement, zur Freude sein kann.
Therapie die gelingen soll, aus der heutigen ressourcenorientierten Sicht, den Menschen wieder an Entwicklungsphasen heranführen, in denen er als Kind noch unverletzt war, noch fähig, sich unbefangen zu freuen und damit auch aus vollem Herzen lachen zu können.

Sprecher: Schon für Sigmund Freud liegen das Kindsein und das Lachen nah beieinander: »Die Euphorie, die wir beim Lachen erstreben, ist die Stimmung unserer Kindheit, in der wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht mächtig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen.«