hr - Hessisches Fernsehen, »Hessenschau«, 29.10.1998
Kongress »Humor in der Therapie« in Basel
(gekürzt)
Sprecherin: Es gibt einen Kongress, der sich mit Lachen befasst?

Dr. Titze: Schon zum dritten Mal gibt es den Kongress »Humor in der Therapie« in Basel. Beim ersten Mal haben wir 180 Teilnehmer gehabt, im letzten Jahr 300 und in diesem Jahr weit über 400: Das beweist, es ist ein Bedarf da. Man fragt sich natürlich - wie kommt das? Wieso kommen immer mehr Leute und interessieren sich für Humor in der Therapie und vor allem, warum sind die Medien so daran interessiert? Ich denke, die Medien sind irgendwie am Puls der Zeit und wir sind natürlich auch froh, dass das so ist. Wir bekommen auch immer mehr Anfragen, von Menschen, die wissen wollen, wie kann ich mich mit Lachen in eine bessere Stimmung versetzen.

Sprecherin: Dr. Titze, Sie sind nicht nur ein Wissenschaftler, der sich mit Lachen befasst, sondern Sie sind auch Buchautor. Es gibt zwei Bücher, Sie haben ja noch mehr geschrieben. Zwei Bücher habe ich in Händen: »Die heilende Kraft des Lachens« und »Therapeutischer Humor«, was das Neueste ist. Was heißt denn das? Was bedeutet therapeutischer Humor?

Dr. Titze: Es ist so, wir haben den Unterhaltungshumor, den es seit Jahrhunderten gibt, vielleicht seit Jahrtausenden ...

Sprecherin: Also im Kino, im Film, Komödien, Klamotten ...

Dr. Titze: Gaukler, Hofnarren und Spaßmacher, das gab es immer schon. Immer schon gab es ganz tolle Leute, die mit Humor sehr viel besser unterhalten konnten, als wir Therapeuten. Das Anliegen des Unterhaltungshumors ist es, dien Leute kurzfristig zum Lachen zu bringen. Wenn sie dann hinterher nach Hause gehen, fühlen sie sich vielleicht einen Abend lang noch ganz gut, aber am nächsten Tag ist wieder alles beim Alten. Beim therapeutischen Humor ist hingegen ein langsamer Prozess wirksam: Es geht nicht so sehr darum, möglichst laut und möglichst viel zu lachen. Worum es geht ist, dass man eine Einstellung ändert. Der therapeutische Humor ist also ein anderer Weg des Denkens. Er vermittelt die Voraussetzungen, um auf diesen Weg zu gelangen.

Sprecherin: Was ist dies für ein Weg?

Dr. Titze: Es ist ein Weg, der den Möglichkeiten des Absurden, der regellosen Kreativität folgt. Es gibt eine Metapher, ein Beispiel: Wir gehen davon aus, dass wir in der heutigen Zeit alle auf einer großen Autobahn, dem Mainstream des Lebens fahren: schnell und ohne nach links und rechts zu schauen. Man kommt auf diese Weise selbstverständlich relativ schnell ans Ziel (sofern man keinen Stau hat!). Aber man wird diese schnelle Fahrt, in ästhetischer Hinsicht, nicht besonders genießen. Stellen sie sich aber vor, dass Sie eine der vielen Ausfahrten auf der Autobahn nehmen. Sie fahren also auf eine Landstraße, dann auf eine Kreisstraße, und irgendwann kommen Sie auf einem Feldweg an. Und dann hört dieser vielleicht auf und es geht mit der Autofahrt nicht mehr weiter. Aber was passiert jetzt? Sie befinden sich vielleicht auf einer Wiese, Sie sehen die Blumen, Sie legen sich unter einen Baum - und plötzlich entsteht eine andere Stimmung! Genau das versuchen wir den Patienten zu vermitteln, die zu uns kommen. Diese Menschen sind in der Regel gestresst. Sie leiden unter der Angst, wie sie von anderen beurteilt werden könnten. Sie sind unzufrieden mit ihrer Leistung, denken, dass sie in ihrem Leben viel zu wenig erreicht haben. Diese Menschen versuchen wir dazu zu bringen, kürzer zu treten, sich in ihrem Drang, alles perfekt hinzukriegen, zu reduzieren, das heißt, sich auf die eben erwähnten Feldwege zu begeben.

Sprecherin: Man kann mit dem Humor, wie Sie sagen, eine Lebenseinstellung verändern. Heißt das dann auch, manche Dinge lockerer zu nehmen oder Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen, wie man es beim Humor auch macht, wenn man lacht?

Dr. Titze: Ja genau. Es ist ja so, dass wir in einer Überbietungsgesellschaft leben. Um nur ein Beispiel zu nennen können wir an Jugendliche denken, die sich darum bemühen, einen Studienplatz oder eine Lehrstelle zu bekommen. Die kommen dann und sagen: Ich habe eine nur eine 2 in Deutsch oder Mathematik bekommen und sie sind, um es einmal so auszudrücken, ziemlich geknickt. In der Zeit, als ich selbst studiert habe, war eine solche Note noch etwas unheimlich Gutes, heute ist das schon offensichtlich nicht mehr gut genug. Um studieren zu können, sollte man in vielen Fächern eine glatte 1 haben. Ansonsten kommt man auf die Warteliste oder kriegt gar keinen Studienplatz. Die aktuelle Realität ist somit, dass wir einfach nur dann gut sind, wenn wir sehr sehr viel besser sind als der Durchschnitt. Dies erzeugt natürlich einen realen Stress, der die eigenen Ressourcen schwächt, was sich wiederum auf die Leistungsfähigkeit auswirkt.

Sprecherin: Und das sollte man nicht mehr so eng sehen, lieber etwas lockerer sehen und auch mal über sich selbst lachen und auch einmal sagen: Es ist nicht so schlimm, wenn ich nicht ganz so toll war.

Sprecher: In einem Düsseldorfer Lachlabor zeigt sich, dass die Wirkung des Humors tatsächlich ganz wissenschaftlich zu erklären ist. Der Auslöser ist Nebensache. Was zählt ist die Wirkung, vor allem, wenn sie für die Mitmenschen ansteckend ist. Bei einem herzhaften Lacher klettert der Puls auf 120 Schläge pro Minute, die Durchblutung wird gefördert und die Lungenflügel dehnen sich. Zwerchfell und Bauchmuskulatur werden angespannt, um den Atem mit etwa 100 km/h durch die Luftröhre zu pressen und 6 Sekunden dauert der durchschnittliche Lachanfall. In diesen Räumen wird viel gelacht, allerdings nur zu Studienzwecken, unter wissenschaftlicher Aufsicht. Hier arbeitet einer der wenigen Spezialisten die es auf dem Gebiet des Lachens gibt. Mit wissenschaftlichem Ernst erforscht Willibald Ruch das Phänomen der Heiterkeit, Schallfolge, Herzschlagrate, Atmungsfrequenz und Muskelaktivierung. Das Lachen lässt sich genauso analysieren wie jede andere körperliche Reaktion.
Den Psychologen interessiert aber noch etwas ganz anderes.

Dr. Willibald Ruch: Also wir nehmen an, dass es so ein heiteres Naturell gibt, das möglicherweise auch angeboren ist. Wir unterscheiden in Experimenten zwischen Personen, die viel von dieser Heiterkeit mitbringen und solchen die weniger heiter sind.

Sprecher: Doch wie bekommt man eine Versuchsperson auf Kommando zum Lachen? Das ist eines der Probleme, das die Forscher mit diesem Experiment zum Beispiel gelöst haben.
Mit der Vorgabe, man wolle ihre Feinmotorik testen, soll die Probandin leichte Gefäße hochheben und das Gewicht miteinander vergleichen. Während die ersten nur um plus/minus 10 Gramm voneinander abweichen, kommt unerwartet ein wesentlich schwereres Gefäß von fast einem Pfund. An dieser Stelle müssen fast alle Probanden lachen, weil sie etwas ganz anderes erwartet hatten.
Die ausgelöste Mimik wird nun im Detail untersucht, um heraus zu finden, welche Muskelpartien am Lachen beteiligt sind. Das ist meistens eine Kombination aus Muskeln um den Mund und die Augen.
Es geht aber noch genauer. Einer Probandin werden Elektroden aufgesetzt, genau an den fraglichen Muskelpartien. Die Kontakte führen ins so genannte EMG, ein Gerät, das die Aktivierung der Muskeln exakt registriert. Und nun soll unsere Versuchsperson bitteschön lachen, vielleicht gelingt es mit einem Scherzartikel. Auch Witzessammlungen, Cartoons und sogar Lachgas gehören zur Grundausstattung im Düsseldorfer Lachlabor. An den aufgezeichneten Messkurven erkennt Dr. Ruch dann, ob auch wirklich die richtigen Muskeln mitgespielt haben.

Dr. Ruch: Es gibt prinzipiell fünf verschiedene Muskeln, die in den Mundwinkelbereich einstrahlen und die in der Lage sind, die Mundwinkel zurück zu ziehen und anzuheben. Aber nur einer davon ist tatsächlich bei Erheiterung aktiv und der auch nicht alleine, sondern der Kreismuskel um das Auge herum sollte beteiligt sein, ansonsten würde man nicht von einem echten Lächeln sprechen.

Sprecher: Neben der Grundlagenforschung untersucht Dr. Ruch auch Phänomene, die im praktischen Leben eine Rolle spielen, wie schlechte Stimmung. Eine junge Frau wird deshalb unter einem Vorwand in einen besonders unwirtlichen Raum gesetzt und soll eine Stunde in dieser negativen Atmosphäre ausharren. Der Psychologe will herausbekommen, ob Menschen mit einer heiteren Veranlagung vielleicht besser in dieser Situation klarkommen. Tatsächlich, nur diejenigen, die sich im Fragebogen als unheitere Menschen darstellen, lassen sich von der negativen Stimmung runterziehen. Personen mit einem heiteren Temperament dagegen lachen häufiger und verarbeiten negative Erfahrungen viel besser.
Für die unfröhlichen Zeitgenossen noch eine gute Nachricht aus dem Lachlabor: Dr. Ruch vermutet, dass die Mimik auf die Stimmungslage zurückwirkt. Man kann mit einem willkürlich aufgesetzten Lächeln seine Stimmung verbessern. Also erst das Lächeln und dann die Laune. Diese Theorie ist wirklich einen Selbstversuch wert.