HR2 Kultur - Der Tag, 12.02.2010
Die reinste Freude - Schaden macht froh (gekürzt)
Moderation: Angela Fitsch
Angela Fitsch: »Ist das teuflische Gefühl der Schadenfreude angeboren oder erlernt? Um dies heraus zu finden, testeten Psychologen 4-8-Jährige.
Die Kinder durften ein Glas Apfelsaft eines Erwachsenen heimlich gegen Zitronensaft austauschen. Setzte der Erwachsene dann ahnungslos zum Trinken an, so verhielten sich die Kinder, je nach Alter, sehr unterschiedlich.
Die 4-Jährigen fühlten mit dem potentiellen Opfer mit, zeigten daher auf das Glas und wollten den Erwachsenen warnen.
Die 5-6-Jährigen hatten zwar durchaus schon ein Gespür für Schadenfreude, konnten aber ihre Vorfreude nicht verbergen, so dass sie sich verrieten.
Erst den 8-Jährigen gelang der Streich. Sie setzten ein Pokerface auf und kosteten anschließend den bittersüßen Schaden des Anderen aus.

Wer früh lernt, wird Meister, manchmal zumindest. Die Schadenfreude - ein Gefühl, zu dem sich niemand gerne offen bekennt, denn diese Schadenfreude ist eine klammheimlich daherkommende Emotion. Über Jahrhunderte hinweg galt die Schadenfreude als schlimmste Eigenschaft der menschlichen Natur, als Kennzeichen des Bösen, wie Schopenhauer meinte.
Sucht man im Internet nach der Definition der Schadenfreude, dann wird sie als Freude über das Missgeschick Anderer oder als Unglück definiert und meistens an Begriffe gekoppelt wie neidisch, hasserfüllt und grausam.
Es gibt nur wenige deutsche Wörter, die Eingang in fremde Sprachen gefunden haben, dazu zählen Kindergarten, Blitzkrieg, Weltanschauung, Angst und eben Schadenfreude.
Irgendwie macht sie uns Spaß, darf sie aber nicht. Und wenn uns jemand bei der Schadenfreude, der kleinen Schwester der Niedertracht, erwischt hat, dann ärgert es uns. Kein Wunder, dass der Mensch genau vor 100 Jahren das Spiel gleichen Namens erfunden und in alle Welt exportiert hat, ausnahmsweise mal mit friedlichen Mitteln: Mensch ärgere dich nicht.
Anderswo gilt die Freude am Schaden der Mächtigen meistens als gute demokratische Tugend. Na ja, es gibt also viele Gründe über die Schadenfreude zu reden und das werden Sie zu hören bekommen:

Die reinste Freude - Schaden macht froh und das ist manchmal auch gut so.

Wir legen los mit diesem Brettspiel, das vor 100 Jahren auf den Markt kam und das die Schadenfreude gesellschaftsfähig machte. Interessant dabei ist die Übertragbarkeit auf real existierende Verhältnisse und unterschiedliche Spielertypen.

Anne Dachsfeld hat schwarz-gelbe Feldforschungen betrieben.
Angela, Horst, Guido und Roland sind Freunde. Heute treffen sie sich bei Angela zum Mensch-ärgere-dich-nicht spielen. Zuerst sortieren sie die roten und grünen Steine aus.
»Die dürfen nicht mitspielen ...« sagt Roland »... die sind doof« und alle grinsen.
Aber dann wird es ernst. Roland bekommt die schwarzen, der Guido die gelben, der Horst die blauen und die Angela die farblosen. Guido will wie immer alles bestimmen und sagt: »Ab heute spielen wir mal in die andere Richtung ...« Aber Angela sagt: »Später vielleicht, jetzt spielen wir erst mal so wie immer.«
Und weil die anderen beiden auch dagegen sind, muss Guido nachgeben und ärgert sich schon, bevor es losgeht.
Horst würfelt als Erster. Das war zwar nicht abgesprochen, aber Horst würfelt immer als erster. Er hat eine sechs, schiebt sein Männchen aus dem Haus, dann noch eine fünf.
»Ich gewinne ... » krakelt er, weil er glaubt, wenn man »ich gewinne« brüllt, dann gewinnt man auch.
Aber Guido würfelt auch eine sechs und eine fünf. Er schmeißt Horsts Männchen raus und sagt: »Ätsch ...« und freut sich, als hätte er schon gewonnen und Horst ist total sauer. Roland würfelt nur eine drei, aber er ärgert sich nicht. Jedenfalls tut er so. Angela würfelt gar nicht.
»Ich setze erst mal aus ...« sagt sie und grinst dabei so komisch.
Dann will Guido würfeln, obwohl Horst dran ist. Aber der ist total sauer, nimmt Guido den Würfel weg und wirft wieder eine sechs und dann eine drei. Aber der Guido wirft auch eine sechs und eine drei.
Ha ha, freut er sich, denn Horst ist wieder draußen und er zieht sein gelbes Männchen energisch nach vorne. Roland hat eine zwei, aber er lässt sich wieder nichts anmerken.
»Wieso soll ich mich ärgern, das ist doch nur ein Spiel ...« sagt er, aber es klingt irgendwie nicht wie in echt. Angela würfelt eine sechs und gibt den Würfel weiter.
»Du musst dein Männchen rausziehen und noch mal würfeln ...« sagt Roland.
»Nö, muss ich nicht ...« sagt sie ... »erst wenn ich will.«
Horst wird total sauer, aber die anderen halten ihn zurück. »Wir sind doch Freunde ...« sagen sie

Mensch ärgere dich nicht - der Schaden des anderen macht froh.

Das spürte auch der Weißclown, der autoritäre Sack, der seriöse und intelligente Chef eines Clownkollektivs. Nie tritt er als Solokünstler auf, nie. Dann könnte er sich nicht erheben über den dummen August und uns vor Schadenfreude zum Lachen bringen.
Federico Fellini stellte fest, dass weißer Clown und dummer August wie Lehrer und Kind, wie Mutter und Gassenjunge sind«:

Sprecher: »Wenn ich Clown sage, denke ich an den August. Freilich sind da die beiden Figuren, der weiße Clown und der August.
Der erste ist Eleganz, Grazie und Intelligenz, Klarheit. Alles was sich moralisch als ideale, einzig gültige Lage, als undiskutierbare Gottheit anbietet.
Und da erscheint der negative Aspekt dieser Angelegenheit, denn so wird der weiße Clown zur Mama, zum Papa, dem Meister, dem Künstler, dem Schönen. Kurz zu dem, was man tun sollte.
Der August, der von dieser Perfektion fasziniert wäre, wenn sie nur nicht so deutlich zur Schau getragen würde, der revoltiert.
Er sieht, dass der Flitter leuchtet, doch macht die Aufgeblasenheit, mit der er sich darstellt, den weißen Clown unerreichbar. Auch verlangt der weiße Clown, dass der August elegant sei. Der wird aber umso verlumpter, unbeholfener, Staub bedeckter, je autoritärer das Gegenteil verlangt wird.
August ist das Kind, das unter sich kackt. Er rebelliert gegen diese Perfektion, besäuft sich, wälzt sich auf dem Boden und belebt daher den ständigen Widerspruch.
Es ist der Kampf zwischen dem stolzen Kult der Vernunft, der zum anmaßenden Kult des Ästhetizismus wird und dem Instinkt, der Freiheit des Triebes.
So ist der weiße Clown der Bourgeoise, auch weil er mit seiner Persönlichkeit so erscheinen will, dass er Eindruck macht. Schon im Anblick ist er wunderbar, reich, mächtig. Das Antlitz weiß, gespenstisch. Der Mund durch einen einzigen Strich gezeichnet, hart, unsympathisch, abweisend, kalt.
Die bürgerliche Familie ist eine Sammlung von weißen Clowns, wodurch das Kind in die Lage des August gedrängt ist.
Die Mutter sagt: »Tu dies nicht, tu jenes nicht ...«
Wenn man die Nachbarn einlädt und das Kind ein Gedicht aufsagen muss ('Zeig den Herrschaften, was du kannst ...'), dann hat man eine typische Zirkussituation.«

A. Fitsch: »Und wie wir uns manchmal darüber freuen können! Michael Titze, Psychologe und Humortherapeut, Sie arbeiten mit therapeutischen Clowns, die zusammen mit depressiven Patienten all die peinlichen Situationen ihres Lebens auf einer Bühne spielen und es geradezu darauf anlegen, dass ihre Zuschauer Schadenfreude empfinden. Was ist das Ziel einer solch bösen Übung?«

Dr. Michael Titze: »Es ist erst einmal so, dass die Patienten die zu uns kommen, Erfahrungen damit gemacht haben, dass sie Objekte des Lachens sind. Sie sind nicht das Subjekt des Lachens, sondern sie erleben sich als passive Objekte, über die gelacht wird.
Dadurch kommen sie in eine Position, die Scham erzeugt, die Angst erzeugt und dann verkrampfen sie sich und sie werden so unfreiwillig komisch. Wir sagen, das sind dann die unfreiwilligen Clowns. Wenn man nämlich sehr verkrampft ist, dann passieren halt clownesque Dinge, die Sie sicher von Woody Allen und auch Buster Keaton kennen. Sie machen dies allerdings freiwillig. Wenn man unfreiwillig Clown ist, dann ist das eine schlimme Sache.«

A. Fitsch: »Aber Schadenfreude ist ein teuflisches Gefühl, haben wir in der Sendung gehört, über Jahrhunderte hinweg als schlimmste Eigenschaft der menschlichen Natur verpönt. Warum darf es sein, ihrer Meinung nach?«

M. Titze: »Es ist interessant, dass die Schadenfreude in der Kindheit entsteht. Wir haben ein wenig geforscht und wir kamen zu dem Ergebnis, dass die Schadenfreude in der Geschwisterrivalität wurzelt.
So ist es erst einmal das ältere, kompetente Kind, das sich hämisch freut, dass es in einer besseren Position ist als das weniger kompetente Kind, das ihm seine Position streitig macht. Man weiß ja, ein Kind das erst mal Einzelkind ist und als Erstgeborener von den jüngeren Geschwistern entthront wird, die dann obendrein noch alle Liebe und Zuwendung bekommen. Und das ist für das ältere Kind natürlich sehr schlimm. Deswegen muss dieses Kind seine verständlichen Gefühle von Wut, von Minderwertigkeit, von Neid und vor allem von Eifersucht, irgendwie kompensieren, und das geht am besten dann, wenn das jüngere Kind, das natürlich weniger kompetent ist, in eben dieser Inkompetenz vorgeführt wird.
Das führt dazu, dass ältere Kinder den jüngeren oft haarsträubende Münchhauseniaden erzählen und sich darüber köstlich amüsieren. Und dann ist plötzliche diese Ungerechtigkeit kompensiert, die die Erstgeborenen so schmerzlich empfinden.«

A. Fitsch: »Glaubt man den Neurologen, dann ist zum Beispiel der Hang zur Schadenfreude sogar tief in der Nervenstruktur des Gehirns verwurzelt, das heißt, darüber kann man sich natürlich trefflich streiten, das es nicht unbedingt ein erlerntes, aber ein bereits in den Genen angelegtes Gefühl ist?«

M. Titze: »Ja, da gibt es Forschungen von der Universität Zürich, wo festgestellt wurde, dass Schadenfreude das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Es wird auch aktiviert, wenn Menschen andere bestrafen oder sehen, wie diese zu Fall gebracht werden - das entspricht dem Prinzip all unserer Comedy-Sendungen. In diesem Fall kommt es dazu, dass Lustgefühle entstehen, dass also in unserem Gehirn tatsächlich etwas aktiviert wird, das vorher nur latent da gewesen ist. So entsteht dann tatsächlich eine Freude, die sich so in Worte fassen lässt: Ach wie schön ist dieses Leben, anderen geht es schlecht und mir geht es dabei gar nicht schlecht. Mir geht es sogar sehr gut, weil ich außen vor bleibe.«

A. Fitsch: »Aber wenn man noch mal diesen Gedanken von Ihnen aufgreift, warum darf Schadenfreude sein, dann hat es sicherlich auch eine, zumindest wie Sie sie auch therapeutisch einsetzen, eine zutiefst entlastende Funktion, dieses Gefühl?«

M. Titze: »Wir müssen jetzt auch an die jüngeren Geschwister denken, die eine ganz andere Form von Schadenfreude entwickeln. Sie bekommen es ja ständig mit, dass sie diejenigen sind, die immer zu kurz kommen, die dümmer sind, die weniger geschickt sind und die im Leben einfach deshalb zu kurz kommen, weil sie zeitlich nicht die gleiche Lerngeschichte haben wie die älteren Geschwister oder Spielkameraden. Dies müsste zunächst dazu führen, dass ein Minderwertigkeitskomplex entsteht - außer, dass es dann eben die ausgleichende Möglichkeit gibt zu sehen, dass auch die Starken, die Kompetenten auf die Nase fallen können.
Das ist genau das Prinzip des Slapstick-Humors, dass eine Person, die über Prestige bzw. Überlegenheit verfügt, zu Fall kommt.«

A. Fitsch: »Es gibt die heimliche Schadenfreude, die offene, als Hohn, Spott, Ironie, Häme und Sarkasmus. In welchen Situationen empfinden wir sie eigentlich am stärksten?«

M. Titze: »Ich würde sagen, wir empfinden Schadenfreude immer dann am stärksten, wenn mit unserem Selbstwertgefühl irgendetwas nicht so gelaufen ist, wie es eigentlich hätte laufen sollen. Das heißt, wenn wir zum Beispiel im Berufsleben oder auch im sozialen Leben in eine Randposition geraten sind und anfangen, an uns zu zweifeln und uns als ein Objekt von Minderwertigkeit und Schwäche erleben. Wenn sich aber die Möglichkeit bietet, diese Minderwertigkeitsgefühle auf andere zu projizieren, so dass diese als minderwertig, als schwach und als peinlich erlebt werden können, dann kommt dieses ursprüngliche Minusgefühl sofort zu einem Ausgleich. Dann fühlen wir uns, für vielleicht kurze Zeit nur, schlagartig besser.«

A. Fitsch: »Es kann ja auch ein Gefühl einer Gruppe sein. Wie sehr stärkt Schadenfreude zum Beispiel auch das Kollektiv, die Gruppe und natürlich auch den Konformismus?«

M. Titze: Wenn jemand zu einer Gruppe gehört, die kein hohes Sozialprestige hat, entsteht ein Minus-Gefühl. Das kann Migranten betreffen oder auch Hauptschüler gegenüber Gymnasiasten, sowie Menschen, die berufliche Tätigkeiten ausüben, die sozial nicht angesehen sind. Diese Personen sind natürlich sehr interessiert, dass der überlegene Boss oder der bewunderte Mächtige, über den die Medien berichten, Schwächen preisgibt, über die man dann lachen kann.«

A. Fitsch: »Schadenfreude soll Außenseiter in ihre Schranken weisen und hin und wieder einfach nur ein gutes Gefühl vermitteln.
Schadenfreude ist eines der ganz wenigen Gefühle, das unmittelbar Entspannung gibt, ohne viel Energieaufwand. Manchmal reicht es schon, ein Interview zu lesen, in dem etwas steht, über das man sich erheben kann.
Schadenfreude als gesellschaftlicher Gleichmacher, das hat schon im Mittelalter funktioniert.«