RTL 31.08.2016
 
Warum Schadenfreude auch etwas Gutes sein kann
 
(stern TV Psycho-Experiment)
 
 
Schadenfreude ist doch die schönste Freude, mag mancher Leute Credo sein. Das sei heutzutage eigentlich normal und auch gar nicht so verkehrt, erklärt dieser Humorforscher.

Haben Sie die Sendung gesehen, als Steffen Hallaschka während der Live-Sendung vor laufender Kamera die Hose platzte? Oder als er von einem tierischen Studiogast gebissen wurde? Oder als Günther Jauch bei einer Aktion vom BMX-Rad fiel? Dann haben auch Sie wahrscheinlich herzlich gelacht. Ebenso wie das schadenfrohe Live-Publikum im TV-Studio. Dabei sei Schadenfreude meist gar nicht böse gemeint, sondern eine natürliche Reaktion, sagt Humorforscher Michael Titze: «Wir lachen immer dann, wenn wir das Gefühl haben, wir sind besser als andere», so der Psychologe. In einer Welt, in der wir permanent zueinander in Konkurrenz stehen, wirke Schadenfreude als sozialer Ausgleich, denn im Scheitern seien wir alle gleich. Dabei gilt: Je auffälliger oder berühmter ein Pechvogel ist, desto lauter und unverhohlener werde gelacht, so der Wissenschaftler: «Schauspieler, Moderatoren, Berühmtheiten – wenn die mal richtig auf die Nase fallen, dann kommt plötzlich ein Gefühl der Überlegenheit auf, das so spontan ist, dass wir es nicht kontrollieren können. Es bricht einfach aus uns heraus.» Das erklärt wohl auch, weshalb manch alberne Studioaktion mit Steffen Hallaschka das Publikum bestens amüsiert. Das nennt man wohl Berufsrisiko.

Männer sind schadenfroher als Frauen Doch sind manche Menschen schadenfroher, als andere? Und was sagt das dann über die Menschen aus? stern TV hat mit versteckter Kamera mehrere Psycho-Experimente durchgeführt – zunächst mit Männern und Frauen. Vor den Augen einer Männergruppe – und anschließend vor Frauen – inszenierten wir eine klassische Slapstick-Situation: Ein Mann trägt eine sperrige Stehleiter. Plötzlich erscheint eine attraktive Frau auf der Bildfläche, nach der sich der Mann staunend umschaut. Dabei touchiert er einen Passanten und wirft ihn zu Boden. Das Ergebnis: Bei den männlichen Beobachtern überwog die Schadenfreude, während die Frauen eher schockiert reagierten und dem Opfer zur Hilfe eilten. Klare Sache: Die Männer verglichen sich mit dem männlichen Tollpatsch – so etwas würde ihnen natürlich nie passieren. Der «soziale Gleichmacher» hatte gegriffen. Aber noch etwas kam hier zum Tragen: Männer sind generell schadenfroher, als Frauen, sagt Psychologe Michael Titze. Das habe seinen Ursprung in der menschlichen Frühgeschichte. «Männer mussten raus, sie mussten auf die Jagd gehen, und sie mussten Kriege führen, um das Überleben der eigenen Sippe zu sichern. Und da kam natürlich ein Triumphgeschrei auf, wenn der Feind zu Fall gekommen war.» Frauen hingegen mussten die Familien zusammenhalten, eine ausgleichende Rolle spielen, für Harmonie in der Sippe sorgen und empathisch reagieren. «Für Frauen ist es selbstverständlich, sich über ein Missgeschick anderer nicht so zu freuen.» Das Gewissen muss Schadenfreude zulassen Schadenfreude hat also auch Grenzen. Irgendwo ist Schluss mit lustig – auch für Männer.

Das zeigte ein zweites Experiment, bei dem die Stressreaktionen der Probanden mit der so genannten BioFeedback-Methode elektronisch gemessen wurden. Männern wie Frauen wurden Aufnahmen von Sportunfällen gezeigt. Beide Geschlechter machten gleichermaßen schockierte, erschrockene und mitfühlende Gesichter. Dass der Anblick der Unfälle allen Testkandidaten Unbehagen bereitete, zeigte der gemessene Stresslevel, der mit jedem Crash weiter anstieg – selbst wenn gekichert oder unvermittelt gelacht wurde. «Mir tun die Leute eher leid, als dass ich darüber lache. Und ich weiß auch nicht, wieso man darüber lachen kann», so eine der zahlreichen Probanden-Reaktionen.

Und doch können Menschen über solche Aufnahmen lachen, wie eine Testabwandlung bewies: Die Unfallaufnahmen wurden mit lustigen Geräuschen und Slapstick-Musik aus dem Soundarchiv unterlegt. Ergebnis: Die Männer amüsierten sich köstlich – ebenso, wie die Frauen. Dass die Aufnahmen der Unfälle, die wir vorgeführt haben, ziemlich heftig sind, spielte plötzlich keine Rolle mehr. Der Humorforscher weiß, warum: Die SlapstickBearbeitung der Bilder beruhige unser Gewissen. «Sobald die Rahmenbedingungen verändert werden und über ein eingespielte Lachen signalisiert wird 'Es ist eigentlich nicht so schlimm', dann ist man persönlich entlastet und das Gewissen gibt die Erlaubnis mitzulachen.» Zudem fiel unter diesen Rahmenbedingungen der Stresslevel der Probanden sichtbar ab. Dass Lachen gesund ist und hilft, Spannungen aufzulösen, ja sogar Selbstheilungskräfte zu mobilisieren, ist wissenschaftlich längst bewiesen. Auch Schadenfreude zählt da offenbar. Ist Schadenfreude angeboren?

stern TV wollte aber noch wissen: Werden wir eigentlich schadenfroh geboren? In einem Kindergarten in Berlin inszenierten wir ein Experiment, das der renommierte Entwicklungspsychologe und Emotionsforscher Manfred Holodynski entwickelt hat: Kinder sollen einer «bösen» Erzieherin einen Streich spielen. Wir ließen Kinder zwischen drei und acht Jahren beim Malen von einer übelgelaunten Erzieherin triezen. Sie kritisierte die Bilder der Kinder und ging sogar so weit, dass sie die Zeichnungen zerknüllte und die kleinen Künstler aufforderte, von vorne anzufangen. Unter einem Vorwand wurde sie aus dem Raum gerufen. Die eingeweihten Eltern forderten die Kinder dann auf, der Erzieherin einen Streich zu spielen, indem sie ihren Apfelsaft im Glas gegen Zitronensaft austauschen. Ergebnis: Den älteren Kindern gelang der Streich prima. Sie freuten sich hämisch auf die Rückkehr der gemeinen Frau – und den Moment, in dem sie von dem Zitronensaft trinken würde. Sie lachten herzhaft und kosteten ihre Schadenfreude voll aus. Die kleinen Kinder hingegen verrieten der Erzieherin den Gläsertausch, noch bevor sie von dem Saft trinken konnte. Schadenfreude ist ergo ein erlerntes Gefühl. Die Pädagogik weiß: Kinder lernen erst in Kindergarten und Schule, dass es Konkurrenz gibt. Und wo es Konkurrenz gibt, da gibt es auch die Freude über das Versagen der Anderen, vor allem der vermeintlich hierarchisch höher gestellten oder besseren. Zudem: «Wir sind schadenfroher, wenn wir die Person nicht mögen, der das Missgeschick passiert», sagt Michael Titze. Demzufolge ist das Streiche spielen und kindliche Schadenfreude nicht dermaßen negativ, wie oft vermutet. Die Kinder gleichen damit ihr angeschlagenes Selbstwertgefühl aus. Zumindest für einen kleinen Augenblick. Aber nicht nur für junge Menschen ist Schadenfreude und freies Lachen wohltuend: «Alles in allem ist das Lachen ein regelrechter Gesundbrunnen», so der Psychologe. «Nach wenigen Minuten stellt sich eine anhaltende Entspannungsphase ein. Der Herzschlag verlangsamt sich und verbleibt auf einem niedrigeren Niveau. Die Muskulatur und die Arterien entspannen sich, so dass sich das Gefäßvolumen erhöht. Dadurch wird auch der Blutdruck längerfristig gesenkt.»