Humor als Therapie - »Lachen über diese seltsame törichte Welt«
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Von Michael Titze
[Aus: PSYCHOLOGIE HEUTE, September 1995, S. 22-25]
Edith Eger, eine Schülerin Viktor Frankls, wurde im Alter von sechzehn Jahren nach Auschwitz deportiert. Unmittelbar nach ihrer Ankunft wurde sie vom berüchtigten SS-Arzt Mengele selektiert. Zusammen mit den meisten ihrer Familienangehörigen wurde sie »nach links«, also in Richtung der Gaskammer, geschickt. Im letzten Augenblick entschied der »Todesengel« aber anders: Er rief die heutige Psychotherapeutin wieder zurück und schickte sie in die »andere Richtung«, also ins Leben zurück. Doch in welches Leben! Es war der Alltag von Dantes Inferno, in dem Menschen vollständig ihrer Menschenwürde beraubt wurden. Doch selbst in dieser Hölle auf Erden erwies sich das Lachen, wie Edith Eger schreibt, als der »Rettungsanker persönlichen Überlebens«. Rückblickend stellt sie fest: »Die Fähigkeit zu lachen trug ihr Teil dazu bei, eine sinnlose Lebenssituation zu bewältigen und sie erträglich zu machen.« Edith Eger erläutert dies an einem selbsterlebten Beispiel: »Nach der Ankunft in Auschwitz wurden meine Schwester Marga und ich entkleidet, und unser Haar wurde uns vollkommen abgeschnitten. Marga hatte lange, blonde Locken, die sie stets stundenlang aufzudrehen pflegte. Nun standen wir also da in einem Zustand äußerster Erniedrigung. Als sie mich fragte, wie sie jetzt aussehen würde, gab ich ihr zur Antwort: 'Du hast wunderschöne blaue Augen!'«

Edith Egers Bericht ist ein Beweis dafür, daß sich im Lachen eine »Trotzmacht« (Frankl) äußert, die sich über alle Einschränkungen hinwegsetzt. Diese Trotzmacht hält sich weder an die Regeln der Vernunft, noch beugt sie sich den rigiden »Man muß«-Vorstellungen von Anstand und Moral. In den letzten Jahren mehren sich Hinweise in der Fachliteratur, die die positive Bedeutung des Lachens für die Gesundheit hervorheben. Und auch in diesem Zusammenhang wird zuweilen Friedrich Nietzsche als ein weitsichtiger Wegbereiter genannt. Denn er war es, der seinen Zarathustra vor mehr als hundert Jahren sagen ließ: »Zehnmal mußt du lachen am Tage und heiter sein: sonst stört dich der Magen in der Nacht, dieser Vater der Trübsal.«

Daß die heilende Kraft des Lachens auch vom medizinischen Standpunkt nachweisbar ist, hat vor etwa dreißig Jahren Norman Cousins bewiesen. Er erkrankte damals an einer Spondylarthritis, einer degenerativen Entartung der Grundsubstanz des Knochengewebes. Dies war mit starker Schmerzentwicklung verbunden, und die Prognose war denkbar schlecht. In seinem autobiographischen Krankheitsbericht »Der Arzt in uns selbst« spricht Cousins von einer Überlebenschance von 1:500. Dies wollte er nicht akzeptieren. Deshalb suchte er nach neuen Wegen der Therapie. Er hatte in wissenschaftlichen Zeitschriften Berichte über den unheilvollen Einfluß negativer Gedanken auf das innersekretorische System gelesen. Weshalb sollte ein konsequent hervorgerufener positiver Gefühlszustand nicht den umgekehrten Effekt haben, das heißt, das biochemische Gleichgewicht im Körper wiederherstellen helfen?

Cousins wollte nicht nur positiv denken. Er wollte eine Heiterkeit unmittelbar erleben, die »aus dein Bauch kommt« und die den gesamten Körper erfaßt. Diese Heiterkeit sollte auch die Außenatmosphäre durchdringen. Das war aber im sterilen Krankenhauszimmer nicht gewährleistet. (»Krankenhäuser sind der falsche Platz für kranke Leute«, scherzte Cousins nach seiner Genesung.) Deshalb zog er mit Einverständnis seiner Ärzte in ein freundliches Hotelzimmer in der Nähe der Klinik um. Dort ließ er sich von einer Krankenschwester lustige Slapstick-Filme vorführen oder witzige Bücher vorlesen. Außerdem wurde er von Freunden besucht, die mit ihm so viel wie möglich scherzen und lachen sollten. Dabei spürte Cousins recht bald, daß seine Schmerzen weitgehend nachließen, nachdem er etwa zehn Minuten lang lauthals gelacht hatte. Danach konnte er mindestens eine Stunde lang problemlos schlafen. Von besonderer Bedeutung war aber, daß seine allmähliche Genesung auch durch Laborbefunde bestätigt werden konnte.

Diese Erfahrungen regten eine Bekannte von Cousins an, den »Gelächterwagen« zu erfinden. Ihr Name ist Bea Ammidown. Eines Tages begann sie, lustige Bücher und Videofilme in einem Servicewagen durch die Krankenzimmer einer Kinderklinik zu fahren. Sie las mit den Kindern in den Büchern und schaute sich mit ihnen gemeinsam die humorigen Filme an. Regelmäßig brachte sie dadurch die (zum Teil schwerkranken) Kinder zum Lachen. Die daraus resultierende positive Gemütsverfassung entlastete nicht nur das Klinikpersonal, sondern führte auch zu nachweisbaren therapeutischen Wirkungen. Bea Ammidown gründete schließlich die »HumoRX, Incorporated/Laugh Waggons«, eine Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, in allen amerikanischen Krankenhäusern aktiv zu werden.

Als eine Reaktion auf die Publikationen von Norman Cousins entwickelte sich in den letzten Jahren in den USA die »Gelotologie«: die Wissenschaft vom Lachen. Ihre Befunde sind wirklich aufsehenerregend.

So stellt der Neurologe William Fry zunächst fest, daß das Lachen vor allem ein Atmungsphänomen ist: Die Einatmung wird vertieft und verlängert, während die Ausatmung verkürzt, aber dennoch derart intensiviert wird, daß es zu einer vollständigen Luftentleerung in der Lunge kommt. Der Gasaustausch wird dadurch um das Drei- bis Vierfache gegenüber dem Ruhezustand gesteigert.

Der französische Arzt Henri Rubinstein spricht dem Lachen deshalb die Bedeutung einer heilgymnastischen Übung zu: Viele Menschen wissen nicht, wie man richtig atmet; ihre Atmung ist zu kurz, zu flach. Diese Art der Atmung, mit offenem Mund und ohne Atempause, kann man bei ängstlichen Patienten beobachten. Es ist jedoch gerade diese Atmiung, die Angst hervorruft beziehungsweise steigert, indem sie eine respiratorische Alkalose des Atemsystems hervorruft, die für die neuromuskuläre Übererregbarkeit verantwortlich ist. Die Atmung beim Lachen ist im Gegensatz dazu eine 'gute' Atmung, die gerade durch ihre Merkmale die Alkalose bekämpft und die Angst vermindert.«

Solche Befunde sind für die sich langsam etablierende Lachtherapie von großer Bedeutung. Sie versteht den Lachvorgang als ein Atemtraining. Die Teilnehmer erlernen dabei zunächst das sogenannte Bauchatmen, das das Zwerchfell einbezieht. Dies ist eben jener Hauptmuskel der Atmung, der beim echten Lachen grundsätzlich aktiviert wird. Nachdem diese Art der Atmung - oft erst in der Folge von langwierigen Gruppenübungen - erlernt wurde, kann das sogenannte Reflexlachen (tiefes, intensives Einatmen - kurzes, stoßweises Ausatmen) systematisch geübt werden. In unserer Gruppenarbeit nehmen derartige Lachübungen gewöhnlich etwa dreißig Minuten am Stück in Anspruch. Der psychophysische Effekt ist dabei sehr beeindruckend: Die Teilnehmer fühlen sich nach derartigen Lachübungen nicht nur körperlich wohl. Sie berichten auch über ein gesteigertes Selbstgefühl, das mit einer optimistischen Einstellung zum Leben einhergeht. So schreibt ein Teilnehmer:

»Das gemeinsame Reflexlachen ist meine persönliche Lieblingsübung. Ich liege mit dem Rücken auf dem Boden. Links und rechts neben mir die Köpfe der anderen. Die zuvor durch forciertes Atmen erzeugte Anspannung (sie kommt zu der alltäglichen Spannung noch dazu!) wird buchstäblich weggelacht. Sie löst sich in nichts anderes auf als Wohlgefallen, Lebensfreude und inneren Frieden. Ich hatte zuvor noch niemals so gelacht, vor allem dann nicht, wenn es keinen Grund dafür gab. Ich muß nicht daran denken, worüber ich lache. Es lacht mich, und zwar ohne Unterlaß. Ich will mich unbedingt darin üben, diese Fähigkeit in mein tägliches Leben zu integrieren. Das Lachen macht mich stark.«

Der Grund für diese »Aktivierung der Lebensgeister« ist folgender. Aufgrund der intensiven Lachatmung wird die Lunge mit reichlich Sauerstoff versorgt. Dadurch ergibt sich einerseits ein kathartischer, also »reinigender« Effekt für die Inhaltsstoffe des Blutes. Andererseits bewirkt die intensivierte Atmung aber auch eine Veränderung im Herzrhythmus: Dieser erhöht sich zunächst, um dann abzusinken. Dabei verringert sich auch der Blutdruck. Schließlich beginnt sich die gesamte Muskulatur, die in der Anfangsphase der Lachübung stark angespannt war, nachhaltig zu entspannen.

Paul McGhee, einer der bedeutendsten Lachforscher der Gegenwart, vergleicht das Lachen in diesem Zusammenhang mit verschiedenen Entspannungstechniken (einschließlich Meditationsübungen). Sie zielen insgesamt auf eine Streßreduzierung ab. Dem gleichen Zweck dient die Lachtherapie. McGhee schreibt: »In jedem meiner Seminare oder Workshops über Humor veranlasse ich eine Lachübung. Es handelt sich um nichts anderes als ein langanhaltendes Gelächter, das so richtig aus dem Bauch herauskommen muß. Unmittelbar danach frage ich die Leute, wie sie sich fühlen. In den meisten Fällen fühlen sie sich entspannter. Wenn wir richtig fest lachen, spannen sich unsere Bauchmuskeln an wie eine Trommel. Einige unserer Gesichtsmuskeln ziehen sich zusammen. Aber jene Skelettmuskeln, die beim Lachen nicht unmittelbar beansprucht werden, beginnen sich zunehmend zu entspannen.« Experimentelle Untersuchungen erbrachten Hinweise dafür, daß Lachen eine ebenso wirksame Muskelentspannung bewirkt wie ein umfassendes BiofeedbackTraining. Andere Untersuchungen zeigten, daß Lachen ein höchst wirksames Mittel für den Abbau von Streß im allgemeinen und Herzbeschwerden, Kopfschmerzen und chronischer Angst im besonderen ist.

Doch nicht nur das Lachen im eigentlichen Sinne wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. Der amerikanische Psychologe Robert Zajonc konnte experimentell nachweisen, daß die Veränderungen der Gesichtsmuskulatur beim Lächeln Auswirkungen auf die Blutzufuhr im Gehirn haben. Während das Gehirn depressiver Menschen weniger gut mit Blut versorgt ist, bekommt es bei lachenden und lächelnden Menschen aufgrund vermehrten Blutzuflusses eine »Sauerstoffdusche«. Dies führt zu einem positiven emotionalen Zustand Zajonc empfiehlt deshalb ein regelmäßiges Training der Gesichtsmuskulatur. Bewußt sollten sich gerade depressive Menschen dazu anhalten, ihrem Gesicht ein fröhliches Lächeln zu geben. Die Wirksamkeit der »Therapie des bewußten Lächelns« wurde vom bekannten Emotionsforscher Paul Ekman in vielen kontrollierten Untersuchungen nachgewiesen. Er kam dabei zu dein Ergebnis, daß sämtliche Körpersysteme in einen streßbedingten Alarmzustand versetzt werden, wenn negative Emotionen vorherrschen. Andererseits werden diese Systeme aber beruhigt, wenn über das Lächeln Positive Emotionen hervorgerufen werden. Ekman folgert daraus, daß es eine direkte und zentrale Verbindung zwischen der Muskelaktivität und den entsprechenden Hirnzentren gibt.

Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, brach als erster mit der Vorstellung, die therapeutische Atmosphäre müsse von distanzierter Zurückhaltung, würdevoller Ernsthaftigkeit und schinerzvoller Entbehrung durchdrungen sein. Er ermutigte seine Klienten vielmehr, all dem »ins Gesicht zu lachen«, was sie ängstigte und beschämte. Dabei stand ihnen Frankl als ein humorvoller Partner ermutigend zur Seite. Frankl schreibt: »Der Patient soll lernen, der Angst ins Gesicht zu sehen, ja, ihr ins Gesicht zu lachen. Frankl gehört damit zu den ersten Therapeuten, die das Lachen für die Psychotherapie nutzbar gemacht haben.

Viktor Frankl versuchte, bei seinen Patienten einen heilsamen Einstellungswandel anzuregen: Die beschämende Angst vor den eigenen Symptomen, die immer auch mit einem tiefgehenden Mißtrauen gegenüber der eigenen Person einhergeht, soll allmählich immer mehr der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Die Gedanken, die die entsprechende Einstellung hervorgebracht haben, sollen damit systematisch »ausmanövriert« werden. So wird der Schamangst augenzwinkernd »der Wind aus den Segeln genommen«. Denn »jede Angst hat ihren Gegenspieler, nämlich den Humor«. Mit der Methode der paradoxen Intention soll jener »komisch Pessimismus« angeregt werden, der es dem Klienten ermöglicht, »der Gefahr' nicht nur ins Gesicht zu blicken, sondern auch ins Gesicht zu lachen«. Im folgenden führe ich dafür ein Beispiel an:

P.K. ist 38 Jahre alt, verheiratet, Vater von zwei Teenagern. Er leidet seit mehr als 21 Jahren an einer Reihe schwerer angst- und zwangsneurotischer Symptome. Im Vordergrund steht die Furcht, homosexuell zu werden Lind sich ein für allemal gesellschaftlich dadurch unmöglich zu machen, daß er nach dem Genitale irgend eines gerade in der Nähe befindlichen männlichen Individuums greife ...

Sechs Monate fanden nun zweimal wöchentlich psychotherapeutische Sitzungen statt. Als - um nur das wichtigste Detail hervorzuheben - dem Patienten der »Rat« erteilt wurde, jede sich bietende Gelegenheit - auf der Straße, in Restaurants oder wo immer - auszunutzen, um nach jemanden Penis zu greifen, begann Herr K. zu lachen - auch über seine Zwangsbefürchtungen zu lachen -, und es dauerte dann nicht mehr lange, bis sie aufhörten, ihn überhaupt noch zu belästigen ...

Hier war es dem Klienten also tatsächlich gelungen, seiner Schamangst ins Gesicht zu lachen. Dies war ihm nur möglich, weil er sich entschlossen hatte, bewußt unverschämt zu agieren. Das aber setzt voraus, sich von den starren »Man-muß« - und »Man-darf-nicht« -Vorstellungen des schlechten Gewissens zu distanzieren. Der betreffende Mensch reduziert sein Denken und Handeln so auf die trotzige Lebenslust eines »ungezogenen Kindes«. Dessen pfiffiger Humor wirkt oft ansteckend.

Fin Beispiel gibt uns jener Schuljunge, der zu spät zur Schule kommt und sich folgendermaßen entschuldigt: »Auf der Straße gibt es ein so arges Glatteis - wann immer ich einen Schritt vorwärts gemacht hab, bin ich zwei Schritte rückwärts gerutscht.« Woraufhin der Lehrer triumphierte: »Wenn dem wirklich so gewesen wäre - wie hättest du dann überhaupt zur Schule kommen können?« - »Ganz einfach: Ich hab mich umgedreht und bin nach Hause gegangen ... «

Auszug aus dem neuen Buch von Michael Titze »Die heilende Kraft des Lachens«, das im Herbst 95 im Kösel Verlag München erscheint.

Dr. Michael Titze, geboren 1947, war mehrere Jahre in der stationären Psychiatrie tätig, bevor er sich als Psychotherapeut in eigener Praxis niederließ. Er vertritt die Individualpsychologie Alfred Adlers und arbeitet seit einigen Jahren mit dem innovativen Ansatz des Therapeutischen Humors. Michael Titze ist Verfasser einiger Publikationen zur Schizophrenieforschung und tiefenpsychologischer Lehrbücher.


© Dr. Michael Titze
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